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Ingenieurin des Lichts

Wie die ETH Physikprofessorin Rachel Grange die optischen Eigenarten von Materialien nutzt und neuartige Geräte entwickelt. Ein Augenschein in ihrem Labor. 

«Eigentlich bin ich eher zufällig zur Physik gekommen», sagt Rachel Grange lachend, als wir sie in ihrem Büro am ETH Standort Hönggerberg treffen. Seit vier Jahren leitet die junge Wissenschaftlerin aus dem Wallis die Forschungsgruppe für optische Nanomaterialien an der ETH Zürich. Nach der Mittelschule wollte sie zuerst Mathematik studieren, aber da fehlte ihr dann doch der handfeste Bezug zur Praxis. So wählte sie den Studiengang Physik für Ingenieure an der ETH Lausanne und entdeckte die Welt der Optik und Photonik. «Nur mit Licht, ohne mechanische Teile, komplexe Prozesse zu steuern, das fasziniert mich immer wieder von neuem», erklärt sie ihre Passion für die Optoelektronik, bei der sich Optik und Halbleiterelektronik verbinden. Mittels Licht, das durch Materialien mit besonderen optischen Eigenschaften geleitet wird, lassen sich Daten und Energie in kürzester Zeit in grosser Menge übermitteln. Diese physikalische Erkenntnis eröffnet enorme Möglichkeiten neuartiger technischer Anwendungen. Doch damit diese funktionieren, müssen ausgeklügelte Konstellationen von Materialien und Licht erfüllt sein, die sehr schwer herzustellen sind. Mit ihrem Team untersucht Rachel Grange, wie sich die optoelektronischen Eigenschaften bestimmter Nanomaterialien noch besser nutzen und steuern lassen, um sie dann in kleinste Geräte wie Modulatoren einzubauen. Die passenden Materialien sind bekannt, ihr optoelektronisches Potential ist aber noch längst nicht ausgeschöpft. 

«Nur mit Licht komplexe Prozesse
zu steuern, fasziniert mich immer
wieder von neuem.»

Hier setzt Rachel Grange mit ihrem Team an. Sie fokussiert ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit zurzeit auf eine Gruppe von Metalloxid-Nanokristallen, die ihr Team in aufwändigen Verfahren im Reinraum herstellt und auf Chips platziert. Auf diese Weise entstehen völlig neuartige «Geräte».

Das Spektrometer auf Chip

Rachel Grange führt uns von ihrem Büro einen Stock tiefer in ihr Labor, wo sie uns einige ihrer Entwicklungen zeigen möchte. Marc Reig Escalé, der eben seine Doktorarbeit abgeschlossen hat, erwartet uns schon. Er hat den Prototypen des neusten Produkts aus der «Werkstatt Grange» mitgebracht – ein Spektrometer auf einem Chip, gerade mal so gross wie ein Fingernagel. Mit ihm lassen sich Spektren in der Bandbreite bis zu 500 Nanometer in hoher Auflösung messen. Revolutionär an diesem Gerät ist, dass es anders als die gängigen Spektrometer ohne mechanische Antriebe und Teile funktioniert. «Wir nutzen die elektro-optischen Effekte, um das Gerät zu steuern», erklärt uns Rachel Grange den Trick. «Man kann ein elektrisches Feld anlegen und so den Weg des Lichts bestimmen. Durch die Veränderung des elektrischen Feldes ändert man auch den Weg des Lichts. Es braucht nichts Mechanisches, um das Spektrometer auszurichten.» Oft werden Spektrometer an extrem unzugänglichen Orten wie in Weltraumteleskopen eingesetzt. Die meisten dieser Geräte sind noch immer von mechanischen Antrieben gesteuert. Fallen diese aus, sind auch die Messungen beeinträchtigt. Die Entwicklung des neuartigen Spektrometers auf Chip wurde teilweise vom Swiss Space Office finanziert. Das gemeinsame Pilotprojekt mit einem externen Unternehmen lief ein Jahr. Danach dauerte es nochmals zwei Jahre, um zu guten Ergebnissen zu kommen. «Das Material so zu bearbeiten, dass es klein ist und als perfekter Wellenleiter ohne Verluste wirkt, erfordert enorm viel Zeit und Entwicklungsarbeit im Reinraum», erklärt uns Rachel Grange. Drei Doktoranden haben am Bau des Spektrometers mitgewirkt. Marc Reig Escalé, einer der drei, arbeitet inzwischen als Postdoc in Rachel Granges Team und möchten den Prototypen nun zur Marktreife führen.  

Dass Rachel Grange und ihr Team dieses Spektrometer entwickeln konnten, ist nicht zuletzt dem ERC Starting Grant zu verdanken, den die Wissenschaftlerin 2016 erhielt. Dieser ermöglichte ihr, zu untersuchen, wie sich das optoelektronische Potential von Nano-Oxiden noch besser erschliessen lässt, sodass sie mit wenig Energie starke optische Signale erzeugen. Als grosse Herausforderung erwies sich, die ideale Struktur der Nano-Oxide zu finden. 

«Meine drei Kinder sagen: ‹Mama
ist Lehrerin und bastelt im Labor mit
Licht, Laser und Pulver›.»

Rachel Grange und ihrem Team gelang es in vielen Versuchen, solche Materialien herzustellen, die dann schliesslich auch zum Bau des Spektrometers verwendet werden konnten. Diese hoch spezialisierte Forschungs- und Entwicklungsarbeit lässt sich Aussenstehenden nicht leicht vermitteln. Das weiss auch Rachel Grange. «Wenn Erwachsenen fragen, was ihre Mutter an der ETH Zürich denn eigentlich mache, antworten meine drei Kinder jeweils: ‚Mama ist Lehrerin und bastelt im Labor mit Licht, Laser und Pulver.‘ Das trifft den Sachverhalt gar nicht so schlecht», sagt die Forscherin mit einem Augenzwinkern, während sie uns zu einem anderen Gerät in ihrem Labor führt. 

Das automatisierte Mikroskop

Wir stehen vor einer rechteckigen Metallbox, etwa so gross wie eine Obstkiste. «Das ist der Prototyp 1 unseres Mikroskops PolarNon», erläutert Rachel Grange, als sie den Metalldeckel von der Box hebt. Wir blicken auf eine Installation von Haltern und Linsen, über die Laserlicht transferiert und auf einen Objektträger geführt wird, hinter dem sich eine Kamera befindet. «Mit diesem Mikroskop können wir Defekte und Zusammensetzungen von Metalloxiden und Halbleitern in einer sehr hohen Auflösung untersuchen. Wir führen das Licht auf die Probe und halten das Bild mit der digitalen Kamera fest. Der Prozess läuft automatisiert. Auf diese Weise können wir Hunderte von Proben während mehrerer Stunden nacheinander durchlaufen lassen und uns dann später jedes einzelne Messergebnis auf den Bildern ansehen», erklärt uns die Wissenschaftlerin. Bei der Entwicklung von PolarNon haben sich Rachel Grange und ihr Team wiederum die besonderen optischen Eigenschaften bestimmter Materialien (vor allem Metalle, Oxide und Halbleiter) zu Nutze gemacht. Mit Erfolg. Ihr Mikroskop eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Qualitätskontrolle von Materialien in der Elektronik-, Photonik-, Aviatik- und Raumfahrtindustrie. Zudem kann es auch in der Bauindustrie zur Korrosionskontrolle eingesetzt werden. Das Gerät hat gegenüber den gängigen Instrumenten wie dem Elektronenmikroskop einen eklatanten Vorteil: die Proben sind schnell und einfach zu messen. Sie müssen nicht, wie bei den heutigen Geräten, zuvor aufwendig präpariert, in ein Vakuum gebracht und auf tiefe Temperaturen gekühlt werden. Zudem bleibt das Material auch nach der Untersuchung erhalten, während es bei der Messung mit konventionellen Instrumenten zerstört wird. 

«Wir können Materialien,
die wir heute verwenden, neu designen.
Daraus ergeben sich komplett
neue Anwendungsmöglichkeiten.»

Das grosse Anwendungspotential dieses neuartigen Mikroskops blieb auch der EU Forschungskommission nicht verborgen. Rachel Grange erhielt 2019 einen ERC Proof of Concept Grant von 150’000 Euro, der es ihr ermöglicht, einen marktreifen PolarNon-Prototypen 2 zu entwickeln. Dabei geht es darum, das Gerät in ein geeignetes anwendungstaugliches Design zu packen, die Bedienung zu vereinfachen, sowie die Software und die Automatisierung zu erweitern. Zur Kommerzialisierung von PolarNon ist die Gründung eines Spin-off geplant. Dieses soll nicht nur Geräte verkaufen, sondern auch Software und einen Messservice anbieten. Unternehmen oder Forschungsinstitutionen könnten ihre Proben dann beim Spin-off direkt messen lassen. 

Engagiert für die Lehre

Zurück in ihrem Büro lernen wir eine weitere Facette der Forscherin und Entwicklerin Rachel Grange kennen – ihr Engagement für das Lehren. Im Herbst 2019 hält sie die Grundvorlesung Physik 1 für die erstsemestrigen Studierenden der Physik und Mathematik. «Ich finde es wichtig, die neuen Studierenden gleich zu Beginn kennen zu lernen und sie für Physik zu motivieren. 

«Ich finde es wichtig,
den neuen Studierenden zu vermitteln,
wie faszinierend Physik sein kann.»

Sie müssen grosse Hürden nehmen, um ins zweite, dritte Jahr zu kommen. Ich finde es spannend, sie darauf vorzubereiten und ihnen zu vermitteln, wie faszinierend Physik sein kann, auch wenn Mechanik und Thermodynamik im ersten Semester sehr aufwendig und rechenorientiert sind. Aber ich hoffe, wir werden viel Spass haben, die Studierenden und ich.» Die vier Stunden Grundlagenvorlesung und die zwei Stunden Übungen pro Woche werden Rachel Grange zeitlich stark beanspruchen. Aber sie wird sich die Zeit freischaufeln, um ihre Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit ihrem Team weiter voranzutreiben und ihrer Vision zu folgen. «Wir können Materialien, die wir heute in unseren elektronischen Geräten ganz selbstverständlich verwenden, völlig neu designen und ihre Strukturen verändern. Daraus ergeben sich dann komplett neue Anwendungsmöglichkeiten, die auch ein grosses Potential für Quantencomputer und für Quantum Engineering eröffnen. Vielleicht lassen sich so auch manche Halbleiter ersetzen. Es wird spannend!», erklärt uns beim Abschied die junge, passionierte Physikprofessorin Rachel Grange, die eigentlich eher zufällig zur Physik kam.

Interview mit Rachel Grange
Rachel Grange

Rachel Grange schloss 2002 mit dem Master in Physik an der EPF Lausanne ab und doktorierte 2006 in Physik an der ETH Zürich. Danach arbeitete sie bis 2010 als Postdoc in der Gruppe von Professor Demetri Psaltis an der EPF Lausanne im Bereich angewandte nichtlineare Optik für bildgebende Verfahren und Nano-Optik. Daneben wirkte sie als wissenschaftliche Beraterin für das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation des Bundes in Bern und vertrat die Schweiz im Arbeitsausschuss für Nanotechnologie bei der OECD in Paris. 2011 erlangte sie die Position eines Junior Group Leader der Carl-Zeiss-Stiftung am Institut für Angewandte Physik an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, die sie bis 2014 innehatte. 2015 erhielt sie den finanziellen Beitrag für eine Förderprofessur des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und wurde Assistenzprofessorin für Physik an der ETH Zürich, wo sie am Institut für Quantenelektronik die Gruppe «Optische Nanomaterialien» leitet. Ihr Team umfasst zurzeit sechs Postdocs, sieben Doktoranden und vier Masterstudierende.

Horizon2020-Projekte

Chi2-Nano-Oxides: Second-Order Nano-Oxides for Enhanced Nonlinear Photonics

  • Projektart: ERC Starting Grant
  • Dauer: 60 Monate
  • Beitrag für die ETH Zürich: 1’500’000 €

cordis.europa.eu/project/rcn/206949

 

PolarNon: Automated super-resolution polarimetric nonlinear microscope ‚PolarNon‘

  • Projektart: ERC Proof of Concept
  • Dauer: 18 Monate
  • Beitrag für die ETH Zürich: 150’000 €

cordis.europa.eu/project/rcn/223638

 

SECOONDO: Second Order nano-Oxide Nonlinear Disordered phOtonics, Romolo Savo

  • Projektart: Marie Skłodowska-Curie actions, European Fellowship
  • Dauer : 24 Monate
  • Beitrag für die ETH Zürich: 187’420 €

cordis.europa.eu/project/rcn/217557

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