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Die Vollassoziierung ist unerlässlich

Liebe Leserinnen und Leser

Das Interview auf der letzten Seite mit der Prorektorin Forschung Elisabeth Stark (UZH) und dem Vizepräsidenten für Forschung Detlef Günther (ETH Zürich) über die Assoziierung der Schweiz an das Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe wurde Ende Juni finalisiert. 

Nach dem Druck dieser Ausgabe hat sich die Lage verändert und die Europäische Kommission hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) informiert, dass die Schweiz bei den Eingaben von Forschungsprojekten für Horizon Europe und damit verbundenen Programmen und Initiativen als nicht-assoziierter Drittstaat behandelt wird. Dieser Status kann jederzeit wieder geändert werden, gilt aber nun für die Ausschreibungen des Jahres 2021.

Mehr Informationen zum Status der Schweiz finden Sie auf der Seite des SBFI unter Horizon Europe oder Sie kontaktieren uns direkt (grants@sl.ethz.ch / grantsaccess@research.uzh.ch).

Freundliche Grüsse

Redaktion Science Stories

Warum die Schweiz auch ohne Rahmenabkommen mit der EU voll assoziiert beim EU-Forschungsprogramm Horizon Europe dabei sein muss. Darüber hat Rolf Probala mit Elisabeth Stark, Prorektorin Forschung der Universität Zürich, und Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung der ETH Zürich, gesprochen.

Seit über dreissig Jahren beteiligt sich die Schweiz an den Forschungsrahmenprogrammen der EU. Welchen Stellenwert haben diese für Ihre Hochschule?

Elisabeth Stark (ES):  Einen sehr hohen. Rund ein Fünftel der Drittmittel, die wir aus öffentlichen Förderquellen einwerben, kommt aus EU-Programmen. Aber fast noch wichtiger als das Geld ist die Reputation der ERC Grants für ausgezeichnete Einzelforschung und die Vernetzung in den grossen kollaborativen Projekten, die für unsere Forscherinnen und Forscher entscheidend sind, um in der internationalen Forschungsliga mitzuspielen.   

Detlef Günther (DG): Das sehe ich auch so. Die Anzahl der ERC Grants, die wir in den letzten Jahren erhalten haben, ist für uns auch ein wichtiges Argument bei der Rekrutierung. Danach fragen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wir berufen möchten, sofort und sie fragen auch, ob sie sich bei uns weiterhin um ERC Grants bewerben können.

Welche Bedeutung hat denn Horizon Europe für Ihre Forschungsstrategie?

DG: Als technische Hochschule ist für uns neben dem ersten auch der dritte Pfeiler «Innovatives Europa» sehr wichtig. Zudem sind Cybersecurity, Data Science und Open Data Themen, die wir nur international in der Komplexität bearbeiten können, wie wir das gerne wollen. Oder das gesamte European Cloud Computing – ein grosses Thema, für das wir uns vernetzen müssen.  

ES: Der Pfeiler «Innovatives Europa» hat auch für die Universität Zürich einen hohen Stellenwert. Wir sind im Bereich Life Sciences mit den translationalen Institutionen, die wir gemeinsam mit der ETH Zürich betreiben, sehr erfolgreich darin, aus Forschungsergebnissen Technologien und Produkte zu entwickeln und diese als Innovationen in die Gesellschaft zu bringen. Man sollte aber nicht alles unter dem Aspekt «applied» sehen. Horizon Europe hat auch zum Ziel, Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen voranzutreiben. Für die geisteswissenschaftliche Forschung ist meines Erachtens der erste Pfeiler – «Exzellente Wissenschaften» – der wichtigste, angefangen bei der Nachwuchsförderung mit den Marie Skłodowska-Curie Fellowships bis zu den ERC Grants. Hier kommt mit dem Geld auch die Forschungszeit, also die wesentliche Währung, wenn man zum Beispiel an einer Monografie schreibt oder Dinge grundlegend reflektiert. Dazu kommt, dass ein ERC in vielen Disziplinen die höchste wissenschaftliche Auszeichnung bedeutet, die man erhalten kann, was wiederum Studierende anzieht. 

Welche Nachteile hätte die Schweiz, wenn sie nicht voll assoziiert bei Horizon Europe dabei wäre?

DG: Wir könnten nicht mehr umfassend bei den Forschungsprogrammen mitwirken, könnten EU-finanzierte Forschungsprojekte nicht mehr leiten. Angenommen, die ETH Zürich würde vom Forschungsbereich Quantencomputing der EU ausgeschlossen, wo wir doch in diesem Gebiet sowohl Ideengeber wie auch stark in der Grundlagenforschung sind: Das wäre nicht nur für uns, sondern auch für die Entwicklung des europäischen Quantencomputings ein massiver Verlust. Oder wenn wir den zweiten Pfeiler «Globale Herausforderungen und die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas» betrachten: Wir werden diesen Herausforderungen nicht in grösserem Masse begegnen können, wenn wir sie nicht gesamteuropäisch angehen. Wir können auch kein Energiekonzept für Europa aufstellen, ohne dass die Schweiz dabei ist. Gerade in diesem Forschungsbereich sind Vernetzung, Visibilität und Kontakte essentiell. 

ES: Wir brauchen die europäischen Fördermittel und Fördernetzwerke, um unsere Stärken weiter auszubauen. Was mir Sorgen macht, ist die beunruhigende Tendenz der EU, die Schweiz und auch andere Staaten, die nicht EU-Mitglieder sind, möglichst vom innereuropäischen Austausch auszuschliessen. Eine Drittstaatenlösung wäre für die Schweiz extrem bitter. 

DG: Die EU würde sich dann auch irgendwann fragen müssen, wie man mit dem Begriff «Exzellenz» umgeht, wenn sie Grossbritannien, Israel und die Schweiz ausschliesst.

Welche Möglichkeiten haben Sie, darauf hinzuwirken, dass die Schweiz auch ohne Rahmenabkommen voll assoziiert bei Horizon Europe dabei sein wird? 

DG: Wir mobilisieren unsere Allianzen in der EU und ich bin positiv überrascht zu erfahren, dass Deutschland unser Anliegen explizit unterstützt und dies auch in Brüssel kundgetan hat. Wir versuchen daher, die Wissenschaftsgemeinschaft national und international zu bewegen, sich dafür einzusetzen, dass alle bei Horizon Europe dabei sein können. Zudem weisen wir darauf hin, dass die Beteiligung der Schweiz an EU-Forschungsprogrammen wie Horizon Europe in den bilateralen Verträgen von 2002 geregelt ist. Es geht also nicht um Fragen des Marktzugangs und die Assoziierung ist daher losgelöst vom Rahmenabkommen zu betrachten.  

ES: Auch wir erklären der Wissenschaftscommunity über unsere internationalen Netzwerke, dass kein Zusammenhang zwischen dem Zugang zu EU-Forschungsprogrammen und dem Rahmenabkommen besteht und wir zeigen auf, was es bedeutet, wenn wir nicht voll assoziiert teilnehmen können. Dabei hilft uns auch die strategische Partnerschaft mit Genf. Die Universitäten Zürich und Genf sind gut eingebettet in die League of European Research Universities (LERU). Als ich im Februar mein Amt als Prorektorin Forschung antrat, hat mich Brigitte Galliot, mein Äquivalent an der Universität Genf, sofort kontaktiert. Wir haben dann gemeinsam eine Bitte um Unterstützung an die LERU formuliert, die sehr positiv aufgenommen und weitergespielt wurde. 

Horizon Europe endet 2027. Welche Wünsche und Visionen zur Forschungskooperation haben Sie für die Zeit danach? 

ES: Wir versuchen schon seit einiger Zeit, mit unseren internen Forschungsförderprogrammen und dem SNF Interdisziplinarität voranzutreiben und eine begleitende, kritische Reflexion der Forschung vorzunehmen. Das gelingt uns sehr gut. Die Forschungsarbeit des Theologen Konrad Schmid ist dafür ein schönes Beispiel oder auch unsere fünf strategischen Forschungsschwerpunkte (UFSP), welche u.a. die ganze Lebensspanne interdisziplinär beleuchten. Dies möchte ich weiter ausbauen. Und als zweites wünsche ich mir mehr Kreativität in der Nachwuchsförderung. Es gibt ausgezeichnete internationale Austauschprogramme und unsere Postdocs können sich sehr gut positionieren. Aber wir sollten darüber nachdenken, wie wir in Kooperation mit einzelnen Hochschulen einen Best-Practice-Austausch etablieren könnten, um die Zukunft der nachhaltigen akademischen Nachwuchsförderung anzugehen. 

DG: Ein visionärer Wurf wäre, wenn die EU ihre Forschungsrahmenprogramme in Zukunft noch breiter vernetzt und sie zu dem globalen Forschungsprogramm der Zukunft entwickelt. Nach den Erfahrungen mit der Pandemie wissen wir heute, dass wir globale Probleme nur global lösen können. Diese Vision würde bedeuten, dass die vielen Forschungsnetzwerke, die weltweit existieren, künftig auch formell bei den Forschungsprogrammen der EU dabei sein könnten. Das nächste Forschungsrahmenprogramm ab 2028 wäre dann Horizon Global.

Detlef Günther und Elisabeth Stark
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