Gute Aussichten für die Zukunft der Windenergie
Windturbinen liefern europaweit über ein Drittel der erneuerbaren Energie. Doch bislang war die Wartung teuer und ihre Lebensdauer eher kurz. Eleni Chatzi, Professorin für Strukturmechanik und Monitoring an der ETH Zürich, hat in einem vom ERC finanzierten Forschungsprojekt eine Reihe von Methoden entwickelt, welche eine intelligente Überwachung von Windturbinen während des Betriebs erlaubt und erst noch günstig ist.
Die Wolken am Winterhimmel haben sich etwas gelichtet. Eleni Chatzi steht unterhalb ihrer Windturbine auf dem Taggenberg ausserhalb von Winterthur und lässt sich mit zwei ihrer Team-Mitglieder ablichten: ein Erinnerungsbild. Denn das Projekt WINDMIL, das mit vollem Namen «Smart Monitoring, Inspection and Life-Cycle Assessment of Wind Turbines» heisst und an dem sie während fünf Jahren zusammengearbeitet haben, wird im April abgeschlossen. «Wie oft ich schon hier war? Nicht oft!», sagt Eleni Chatzi und lacht. Dank Telemetrie, der Fernübertragung von Daten, kann sie die Messwerte der Sensoren bequem von ihrem Büro aus erfassen und überwachen.
Die Windturbine in Winterthur, welche die Gruppe vor zwei Jahren kaufen konnte, dient als eine Art Betriebslabor. Die von Aventa hergestellte Anlage steht auf einem 18 Meter hohen Betonturm und hat einen Rotordurchmesser von 12,9 Meter. An der ETH Zürich haben die Forschenden ausserdem ein Windturbinenmodell, das sehr viel kleiner ist, aber viele Simulationen zulässt. Es hat einen Turmdurchmesser von lediglich zwei Zentimetern und ist 1,6 Meter hoch. Die Rotorblätter sind 80 Zentimeter lang. An diesem Modell kann man zum Beispiel den Turmboden schaukeln lassen und die einzelnen Teile so verändern, dass man Fehler simulieren kann.
Überwachen, inspizieren, verbessern
Hauptlieferanten der Forschungsdaten für das Projekt sind aber Windparks in ganz Europa. Das Ziel des Projekts: Eine Methode zu entwickeln für die Überwachung der Anlagen, die Inspektion der Einzelteile und die Einschätzung, wie lange so eine Windturbine noch ihren Dienst macht. WINDMIL sollte eine effizientere und kostengünstige Methode zum Unterhalt von Windkraftanlagen liefern, die zugleich den Baukörper selber mit einbezieht und damit die Lebensdauer einer Anlage vielleicht sogar verlängern kann.
Bislang sind die meisten Windturbinen noch mit sogenannten Supervisory Control and Data Acquisition (SCADA)-Systemen ausgestattet. Sie liefern Informationen über den Rotorbetrieb, die Leistung und den Wind. Der Baukörper an sich und der Untergrund aber sind nicht Teil dieses Monitoring-Systems und die Windturbinen müssen für die Inspektion ausgeschaltet werden, was die Wartung teuer macht.
Der Zeitpunkt für das Projekt war gut gewählt: Eine ganze Reihe von Windturbinen in Europa nähert sich ihrem Lebensende oder hat das Ende ihrer Lebensdauer bereits erreicht. Sowohl Betreiber von Windenergieanlagen wie politische Entscheidungsträger sind deshalb sehr interessiert an einer zuverlässigen Methode für die Bewertung des Lebenszyklus – und einer Überwachungsmethode, die mit der sich stetig verbessernden Technologie der Windturbinen Schritt halten kann. Denn die Produktion von Windenergie ist eine Industrie der Zukunft. Mit der zur Neige gehenden Verfügbarkeit von anderen Energiequellen wird die grüne und nachhaltige Energiegewinnung wichtiger denn je.
Schwierige Suche nach Partnern
Partner des Projekts sind Aventa und Siemens Gamesa sowie Windparks in Deutschland, OSMOS in Griechenland, Vattenfall in Schweden und Ørsted in Dänemark. Wie findet man so viele? «Es ist immer aufwendig, passende Bauwerke im Feld zu finden, an denen wir arbeiten können», meint Eleni Chatzi, die vor WINDMIL ausschliesslich an traditionelleren Bauwerken wie Brücken und Gebäuden geforscht hat.
«Die Betreiber von
Windkraftwerken sind offen
gegenüber Innovationen.»
Bei den Windturbinen war die Suche nach Partnerschaften laut Chatzi besonders schwierig, weil da viele verschiedene Leute involviert sind. Da sind die Besitzer selber, aber auch die Ingenieure, die die Windparks betreiben, sowie die Behörden, die den Bau solcher Anlagen bewilligen müssen. Ihre Partnergesellschaften hat Chatzi über europäische Projekte gefunden, aber auch über persönliche Kontakte wie etwa in Griechenland. «Wenn es einfacher gewesen wäre, hätten wir wohl auch in der Schweiz ein paar weitere Standorte von Windturbinen einbezogen», meint sie und fügt an: «Allerdings ist das Interesse an Windkraftwerken hier nicht gross, die Schweiz ist ja ein Land der Wasserkraft.»
Die ersten zwei Jahre des Projekts hat die Gruppe fast ausschliesslich damit verbracht, die richtigen Partner zu finden. Erst in der Halbzeit, nach zweieinhalb Jahren, war man dann soweit. Die Messgeräte waren installiert und begannen, Daten zu liefern. Davor lief die ganze Forschungsarbeit über Simulationen.
Das Diagnose- und Vorhersagemodul von WINDMIL wurde dann anhand verschiedener Datensätze validiert. Dazu gehörten Datensätze, die durch grosse numerische Simulationen erzeugt wurden, Labordaten von der kleinen Windturbinenattrappe, SCADA-Daten, die von den Windparks in Europa generiert wurden, und strukturelle Überwachungsdaten, die von Sensoren stammen, die an Windrädern installiert sind.
Mit neuen Methoden zum Ziel
Das Projekt verlief auf zwei Schienen, einer rein datengesteuerten und einer modellbasierten. Die erste stützt sich auf die Verarbeitung der von den Sensoren gesammelten Informationen, um die Entwicklung der Dynamik der Windturbinen zu verfolgen, und sucht nach Anzeichen der Leistung und des Zustands des Systems durch die reine Betrachtung der Signale. Der zweite Weg beruht auf der Verwendung von Berechnungsmodellen, die in der Lage sind, die Unsicherheiten in Bezug auf die verschiedenen Belastungen durch Wind, Wellen usw. sowie die Wechselwirkungen zwischen Boden, Struktur und Fundament zu berücksichtigen.
In WINDMIL wurde zudem ein neues Verfahren entwickelt, das auf der Kombination dieser beiden Simulationen beruht, also auf der Verschmelzung von Daten mit Modellen aufbaut. Chatzi und weitere Forschende auf dem Gebiet der Systemidentifikation nennen solche Verfahren, die Physik mit Daten koppeln, hybride Ansätze. So kombinierte der Doktorand Konstantinos Tatsis Modelle von Simulationen der Windturbinen mit den Daten, die er von den Sensoren an der Windturbine erhielt und versuchte, daraus Indikatoren für die Vorhersagen über den Zustand der Windturbine zu entwickeln, was die Materialermüdung und andere Schäden anbelangt.
Das Projekt liegt an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Disziplinen: Die Strukturanalyse verlangt nach Kenntnissen im Bauingenieurwesen, für die Erfassung der Bewegungen braucht es ebensolche im Maschinenbau und Elektrotechnik für die Signalverarbeitung. Entsprechend heterogen ist die Gruppe der jungen Griechin.
«Unser Ansatz
hat das Potential,
die Windenergiesysteme
zu revolutionieren.»
Hürden bei der Arbeit gab es vor allem im administrativen Bereich. Windkraftwerke folgen strengen Vorschriften. Um da eine neue Technologie einzuführen mussten viele Normen und Standards überarbeitet werden. Das hat zu Verspätungen geführt. «Die Betreiber von Windkraftwerken sind aber offen gegenüber Innovationen», betont Chatzi.
Nun ist das Projekt fast abgeschlossen, das Ergebnis liegt vor: ein «Schutzanzug» für Windturbinen, wie es Chatzi nennt. Er besteht aus Hardware in Form von Sensoren und einem modularen, leicht zu implementierenden Softwarepaket mit dem Namen WINDMIL-RTDT. Der Bausatz soll den Status quo in den derzeitigen Überwachungs- und Datenerfassungssystemen völlig neu definieren.
Eleni Chatzi ist sichtlich stolz darauf. «Das klingt jetzt etwas technisch», meint sie. «Aber wir bieten mit unserer Technik ein System an, das in der Lage ist, die Lebensdauer von Windkraftanlagen als Bauwerke zu überwachen und zu verlängern. Bisher wurden die Stromerzeugung und die mechanischen Komponenten, also etwa das Getriebe, kontrolliert, nicht aber die Struktur selber – und die ist quasi der Flaschenhals in der Frage, wie lange eine Windturbine einsatzfähig ist. Unser Ansatz hat also das Potential, die Windenergiesysteme zu revolutionieren.»
Eine neue Forschungsrichtung eröffnet sich
In den letzten zwei Monaten stehen vor allem noch Schlussberichte an. Und dann geht es um das Erbe des Projekts: WINDMIL hat ein Instrument hervorgebracht, das nun überall auf der Welt eingesetzt werden könnte. Eleni Chatzi ist deshalb daran, mit ihren Mitarbeitenden ein Spin-off aufzubauen, mit dem sie in die Industrie einsteigen können.
Imad Abdallah, der Senior Scientist der Gruppe, bereitet momentan den Antrag für die ETH Zürich vor. Der Doktorand Charilaos Mylonas, der im Projekt anhand von Simulationen berechnet hat, wie lange das Material der Windturbine halten wird, sieht seine Zukunft in ebendieser Industrie. Konstantinos Tatsis indessen möchte in diesem Gebiet weiterforschen. Und die Zukunft sieht gut aus: Die Technologie der Windturbinen wird immer besser, so dass die bisherigen durch grössere und stärkere ersetzt werden können, die mehr Energie liefern, und zwar so viel mehr, dass sich der Wechsel von alten zu neusten Modellen auch finanziell lohnt.
Das Projekt hat zudem mehrere Folge- und Kooperationsprojekte hervorgebracht, etwa das vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Projekt Aerosense: Die Gruppe von Eleni Chatzi und weitere Partnergruppen der ETH Zürich arbeiten derzeit mit der Fachhochschule Ostschweiz zusammen, um ein erstes mikroelektromechanisches, auf Oberflächendruck und Akustik basierendes, intelligentes Messsystem zur Überwachung von Windturbinenblättern zu produzieren.
Weitere gemeinsame Projekte wurden mit Industriepartnern, die im Bereich der Windenergie tätig sind, ins Leben gerufen. «Auch wenn es bald abgeschlossen sein wird, hat WINDMIL eine florierende Forschungsrichtung mit zahlreichen Möglichkeiten geschaffen, unsere Ergebnisse in die aktuelle Praxis zu übertragen», freut sich Eleni Chatzi.
Interview mit Eleni Chatzi (Englisch)
Eleni Chatzi
Eleni Chatzi ist seit 2017 ausserordentliche Professorin für Strukturmechanik und Monitoring am Institut für Baustatik und Konstruktion des Departements Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich. 1981 in Athen geboren, studierte sie an der Nationalen Technischen Universität in Athen Civil Engineering, erhielt 2004 das Bachelor-Diplom mit Magna cum laude und schloss 2008 mit dem Master of Science ab. Sie setzte ihr Studium am Department of Civil Engineering & Engineering Mechanics an der Columbia University in New York fort, wo sie den Master of Philosophy erwarb. 2010 erlangte sie ebenda ihren Doktortitel und wurde für ihre Arbeit ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde sie zur Assistenzprofessorin an der ETH Zürich ernannt.
Horizon 2020 Projekt
WINDMIL: Smart Monitoring, Inspection and Life-Cycle Assessment of Wind Turbines
- Projektart: ERC Starting Grant
- Laufzeit: 1. Mai 2016 – 30. April 2021 (60 Monate)
- Beitrag für die ETH Zürich: 1’486’224 €