Mit dem dreidimensionalen Zellenatlas zur Präzisionsmedizin
Das US-amerikanische National Institutes of Health NIH finanziert die Erstellung einer dreidimensionalen Karte des menschlichen Lymphsystems. Eine wichtige Rolle dabei hat Bernd Bodenmiller, Professor für Quantitative Biomedizin an der Universität Zürich und der ETH Zürich und Pionier in der bildgebenden Massenzytometrie: ein Besuch im Bodenmiller Lab.
Das Gebäude des Instituts für Quantitative Biomedizin ist das neuste der Universität Zürich Irchel. Erst im letzten September wurde es bezogen. Es steht ganz oben auf dem Campus, bietet viel Licht und Ausblick auf den Wald des Zürichberg. Eine leuchtend rote, geschwungene Treppe führt bis ins oberste Geschoss. Die schlichten Büros der Professorinnen und Professoren, die sich hier entlang eines breiten Korridors aneinanderreihen, gleichen aber mit zwei komplett verglasten Fronten zum Flur und nach aussen hin ein bisschen Aquarien. Die Glaswand und -tür des Büros von Bernd Bodenmiller dagegen ist mit grossformatigen, farbigen Pixelgemälden beklebt: wunderschöne Bilder von Zellen, die mittels der sogenannten Imaging Mass Cytometry, kurz IMC, oder bildgebenden Massenzytometrie, hergestellt wurden.
Bodenmiller ist Spezialist dieses Verfahrens. Zusammen mit Detlef Günther, Professor für Spurenelement- und Mikroanalytik an der ETH Zürich, hat er es 2014 entwickelt. Sein Labor gilt heute als weltweit führend in der IMC- und 3D-Analyse – und spielt in einem laufenden Forschungsprojekt des US-amerikanischen National Institutes of Health NIH eine zentrale Rolle: Mit Hilfe dieser Expertise soll eine 3D-Karte der Organe des Lymphsystems entstehen. Koordiniert wird das Projekt von Mark Atkinson vom College of Medicine der University of Florida. In der während vier Jahren finanzierten Arbeit sollen für die drei wichtigsten lymphoiden Organe des menschlichen Körpers, die Milz, den Thymus und die Lymphknoten, dreidimensionale Gewebekarten erstellt werden.
Weltweit verbunden
Das Projekt ist Teil eines grösseren Unternehmens: Das NIH möchte den ganzen Körper des gesunden Menschen auf Einzelzellebene mit den neuartigen Methoden vermessen. Human BioMolecular Atlas Program, kurz HuBMAP, heisst es. 18 verschiedene, führende Forschungsteams aus den USA und Europa sind daran beteiligt, welche wiederum mit vielen Forschenden rund um die Welt eng zusammenarbeiten. Die Bilder sollen alle im selben Format in einer Datenbank gespeichert und den Forschenden weltweit zur Verfügung gestellt werden.
Das Lymphsystem spielt eine zentrale Rolle, denn es hat physiologische Schlüsselfunktionen innerhalb des gesunden Körpers: Es sorgt für die Entfernung überflüssiger Körperflüssigkeiten, absorbiert und transportiert Fettsäure in den Blutkreislauf und es filtert das Blut. Es produziert und aktiviert Immunzellen und baut so die primäre Abwehr gegen Infektionen und Krebs auf. Und es erzeugt und aktiviert sogenannte regulatorische Immunzellen, die vor autoimmunen Erkrankungen schützen.
Bernd Bodenmiller arbeitet nicht zum ersten Mal mit Mark Atkinson. Die Kollaboration geht zurück auf die Anfänge der IMC-Methode – und deren Echo in der Fachwelt. Der junge Deutsche schildert es so: «Wir hatten gerade die bildgebende Methode IMC entwickelt, dies publiziert und unterschiedliche Weiterentwicklungen der Methodik begonnen. Da kam ein Anruf eines NIH Grant Coordinators. Er fragte mich, ob ich Interesse hätte, mich für einen NIH-Grant mitzubewerben.» Dazu muss man wissen: Anders als in Europa haben die NIH-Grant-Koordinatoren die Aufgabe, Vorschläge zu machen, welche Forschenden gute Gruppenmitglieder sein könnten in einem Projekt. Sie machen also aktiv Teambuilding, um ideale Gruppen aufzubauen für die Vorgaben oder das grosse Ziel des Projekts.
Passende Partner
In diesem ersten Projekt ging es um Diabetes. In einem NIH-Projekt sollten mittels hochmultiplexer Bildgebung Einzelzellanalysen der Inselzellen bei Typ-1-Diabetes gemacht werden. Mark Atkinson ist ein Kliniker und hat in den USA die weltweit grösste Humanbiobank für Pankreasgewebe von Typ-1-Diabetes-Spendern aufgebaut. Bodenmiller erforscht hauptsächlich Tumore. Er untersucht mit seinem bildgebenden Verfahren Krebsgewebe. Die Erkenntnisse darüber sollen die Behandlungsmöglichkeiten verbessern. «Der Coordinator meinte: Mark hat die Proben, ihr die Technologie, und diese könnt ihr innerhalb des Projektes auch weiterentwickeln», erzählt Bodenmiller. Zusammen mit einer Gruppe aus Genf, die Atkinson schon kannte, bewarb man sich erfolgreich für das Projekt. So kam die Zusammenarbeit zustande. «Sie lief sehr gut», betont Bodenmiller.
Inzwischen wurde die IMC-Technologie von der Firma Fluidigm als Produkt auf den Markt gebracht. Und Bodenmiller arbeitet wieder mit Atkinson zusammen, um das Lymphsystem zu kartieren. «Mark hat aufgrund seiner Biobank sehr viele Proben vom menschlichen Lymphsystem – und wir haben gleichzeitig sehr grosses Interesse am Immun- und Lymphsystem im Zusammenhang mit unserer Krebsforschung», erklärt der Biochemiker. Deshalb bewarben sich die beiden wieder zusammen und hatten erneut Erfolg.
Blaulicht ohne Sirene
Die Geräte, die dabei zum Einsatz kommen, stehen rein optisch in keinem Verhältnis zu ihrem weltweiten Ruf – das Auffälligste an ihnen sind ihre teilweise leuchtend orangefarbenen Hüllen. Sie bestehen aus einem Massenanalysegerät, dem CyTOF, und einer Box, in der das Laserabtragsystem arbeitet.
«Das ist wie der Unterschied zwischen
einem verschwommenen Schwarzweiss-Bild
und einem hochaufgelösten Farbbild.»
Drei dieser Maschinen stehen im Labor der Gruppe hintereinander. Eine davon misst bei unserem Besuch Immunzellen. Sie gibt kaum Geräusche von sich. Nur eine blaue Lampe, die wie das Blaulicht eines Polizeiautos kurz und lautlos aufblinkt, zeigt an, dass sich hier etwas tut. Prompt erscheint Sujana Sivapatham, eine der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, im Labor und setzt sich gleich an den Computer neben der Maschine. Das Blinksignal würde auf den Computer an ihrem Büroplatz übertragen, erklärt die junge Frau.
Und was genau geschieht im Innern der Maschinen? Der Wissenschaftler kann es ganz einfach erklären: Gearbeitet wird mit nur wenige Mikrometer dicken Gewebeproben. Auf das Gewebe werden sogenannte Antikörper gegeben, mit deren Hilfe gewisse Marker im Gewebe nachgewiesen werden können. Die Antikörper wurden davor mit unterschiedlichen Metallisotopen gekennzeichnet. Den Ablauf schildert der Forscher dann so: «In der Maschine können wir die Metalle vermessen. Der Laser schiesst Punkt für Punkt auf das Gewebe und entfernt und vermisst es. Am Schluss bleiben wie auf einem Bildschirm Pixel mit Informationen von über 40 Markern, die wir dann zu einem Bild zusammensetzen.»
Der Vorteil dieses Systems gegenüber herkömmlichen Messmethoden: Die Forschenden können momentan bis zu 50, und in Zukunft wohl bis zu 100 Marker betrachten – gegenüber von drei bis fünf in den Standardmethoden. Dies liefert eine ganz andere Tiefe von Informationen. Man sieht z.B. nicht nur, dass da eine Immunzelle ist, sondern auch, was sie gerade macht. «Das ist wie der Unterschied zwischen einem verschwommenen Schwarzweiss-Bild und einem hochaufgelösten Farbbild», betont Bodenmiller.
Ein begehbarer Tumor
Mit dieser Methode können auch dreidimensionale Modelle hergestellt werden, indem man im Gewebe vielfache Schnitte macht, jede Schicht vermisst und dann am Computer zu einem 3D-Modell zusammenfügt. Bodenmillers Gruppe ist in einem Konsortium dabei, eine Virtual Reality zu entwickeln, in der man die 3D-Modelle untersuchen kann. Ein Krebstumor zum Beispiel kann so dargestellt werden, dass man in ihn hineingehen und sein Inneres betrachten und analysieren kann.
Ende Juni dieses Jahres läuft das Projekt um die dreidimensionale Karte des Lymphsystems aus. Ist schon alles kartiert? Der Professor lacht: «Nein, wir haben noch nicht alles vermessen. Aber wir sind daran, uns um die Verlängerung zu bewerben. Ein Hauptziel des Projektes war es, die Grundlagen für grossangelegte Messungen zu schaffen.» Tatsächlich wurden etwa vom Lymphknoten sehr viele Daten generiert. «Doch wir müssen auch anerkennen», so Bodenmiller, «dass wir mit den heutigen Technologien zwar schon sehr viel messen können, die Organe aber im Vergleich zu den Messgrössen riesig sind. Wir messen ja in der Dimension von Kubikmillimetern.» Die Forschenden haben deshalb viel Aufwand betrieben, um die interessantesten Regionen zu definieren und diese zu vermessen. Doch es bleibt noch viel zu tun.
Lauter Spitzenleute
Parallel dazu ist die Gruppe von Bernd Bodenmiller derzeit noch in nicht weniger als vier weitere, internationale Forschungsprojekte involviert. Im Horizon-2020-Programm IMMUcan geht es darum, bei Krebspatienten und Krebspatientinnen anhand der Bilder Gruppen von unterschiedlichen Krebszellen und Immunumgebungen zu definieren, um personalisierte Behandlungen zu ermöglichen.
«Ich habe nur ein Hirn,
dafür 29 Mitarbeitende,
die mindestens genau so schlau
sind wie ich.»
Das Projekt MaCaROM im Rahmen eines Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiums widmet sich der Analyse, wie unterschiedlichen Brustkrebszellen in Brustkrebs-Organoiden auf verschiedene Medikamente reagieren. In einem zweiten, Spatial Organoids genannten, Marie-Curie-Projekt werden dreidimensionale Organoidkulturen von Brustkrebs im Zeitverlauf untersucht, um zu erfassen, welche molekularen und räumlichen Faktoren die Heterogenität von Brustkrebszellen bestimmen. Dies soll ebenfalls die gezielte Behandlung von Brustkrebs verbessern helfen. Das vierte, vom ERC finanzierte, Projekt heisst Precision Motifs und analysiert die Metastasen von Brustkrebs.
Läuft man bei so vielen Aufgaben zur selben Zeit nicht Gefahr, nur noch zu administrieren? Der Gruppenleiter verneint: «Die Kunst ist es, sehr gute Mitarbeitende zu haben, die mit viel Eigenverantwortung und Enthusiasmus die Projekte tragen und umsetzen.» Tatsächlich sind aktuell vier der 29 Mitarbeitenden der Gruppe mit einem Stipendium ausgezeichnet. Bodenmillers Erklärung: Die Leute, die sich bei ihm bewerben, hätten den Ehrgeiz, etwas zu bewegen und sich gleichzeitig eine gute Basis für den nächsten Karriereschritt zu schaffen. Sie schreiben deshalb Forschungsanträge wie für die Marie-Curie-Grants und andere. Und er fügt an: «Ich bin sehr glücklich, dass meine Mitarbeitenden dabei so erfolgreich sind.» Sein Gehirn müsste ja 30mal grösser sein, wenn er jedes Projekt bis ins kleinste Detail steuern müsste, meint er. «Ich habe aber nur ein Hirn, dafür 29 Mitarbeitende, die mindestens genau so schlau sind wie ich.»
Der Biochemiker kann denn auch gar nicht sagen, welches Projekt ihm persönlich am meisten gefällt: «Ich habe den Luxus, die Projekte zu realisieren, die mich interessieren. Natürlich gibt es manchmal Projekte mit viel Bürokratie. Aber sobald ein Projekt in die Phase kommt, bei der Resultate generiert werden können, macht es irre viel Spass.»
Worauf er besonders stolz ist, weiss er hingegen sehr genau: Dass er es mit seiner Gruppe geschafft hat, eine Technologie zu entwickeln, die jetzt in vielen Projekten und von ganz vielen anderen Leuten genutzt werden kann. Dass diese Technologie also eine echte Wirkung hat und im klinischen Kontext genutzt wird. «Das ist genial, dass Dinge, die wir entwickelt haben, bis zum Patienten kommen», meint er.
Interview mit Bernd Bodenmiller
Bernd Bodenmiller
Bernd Bodenmiller ist seit 2020 ausserordentlicher Professor für Quantitative Biomedizin an der Universität Zürich und der ETH Zürich. Der gebürtige Deutsche studierte Biochemie an der Universität Bayreuth, Deutschland, und an der ETH Zürich. Danach arbeitete er als Doktorand im Labor des Systembiologen Ruedi Aebersold an der ETH Zürich und promovierte 2008 in Systembiologie. 2009 wechselte Bodenmiller ins Labor von Garry Nolan an der Stanford University, USA, wo er bis 2012 als Postdoc tätig war. 2013 wurde Bodenmiller als SNF-Assistenzprofessor an das Institut für Molekulare Biologie der Universität Zürich berufen. Seit 2019 ist er Gründungsdirektor des Instituts für Quantitative Biomedizin der Universität Zürich. Er ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Zürich.
NIH-Projekt
HuBMAP: A 3D Tissue Map of the Human Lymphatic System
- Projektart: NIH Subaward
- Laufzeit:14. September 2018 – 30. Juni 2022
(45.5 Monate) - Beitrag für die Universität Zürich: 214’898 $