Die schweizerische Forschungslandschaft: drei Fragen nach Bern, Brüssel und Washington DC
EU GrantsAccess Co-Leiterin Sofia Karakostas im Zoom-Gespräch mit Anouk De Bast, Head of Science Office bei der Schweizer Botschaft in den USA, Washington DC, Maryline Maillard, Botschaftsrätin bei der Mission der Schweiz bei der EU in Brüssel und Dr. Philipp Langer, Leiter Ressort EU-Rahmenprogramme, SBFI in Bern.
Wie würden Sie heute die schweizerische Forschungslandschaft aus nationaler (Langer) / europäischer (Maillard) / internationaler (De Bast) Sicht definieren?
Philipp Langer (PL): Die schweizerische Forschungs- und Innovations(F&I)-Landschaft ist effizient, weltweit attraktiv und global wettbewerbsfähig. Sie verfügt über exzellente private und öffentliche Akteure, welche internationale Talente nach Europa locken. Dafür gibt es meines Erachtens mehrere Gründe: Erstens erlaubt es unser offenes und durchlässiges Bildungssystem allen Personen, ihre Berufung zu finden und mit ihren Fähigkeiten Höchstleistungen zu erbringen. Der zweite Grund ist die konsequente Anwendung des «Bottom-up»-Prinzips, z.B. bei der Definition von Forschungsthemen oder bei der grösstmöglichen Unabhängigkeit der Schweizer Institutionen, welche Forschung fördern und durchführen. Ein dritter Grund ist vermutlich das kompromisslose Streben nach Exzellenz – ein Teil der schweizerischen Wesensart – kombiniert mit der offenen Einstellung gegenüber internationalen Mitbürgerinnen und Mitbürgern: Erfolg hängt in erster Linie davon ab, wie sehr sich jemand in seinem Kompetenzbereich auszeichnet und nicht, woher diese Person stammt.
Maryline Maillard (MM): Seit 2004 ist die Schweiz an den Forschungsprogrammen der EU assoziiert. Die schweizerische F&I-Landschaft hat einen sehr guten Ruf in Europa und die Schweiz ist deshalb seit vielen Jahren eine geschätzte und zuverlässige Partnerin. Aktuell ist sie das aktivste assoziierte Land bei Horizon 2020 und hat eine überdurchschnittliche Erfolgsrate. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die Zusammenarbeit mit europäischen Forschenden durch eine erneuerte Assoziierung der Schweiz an zukünftige EU F&I-Programme langfristig gesichert wird.
Anouk De Bast (ADB): Die Schweizer Wissenschaft und ihre Forschenden geniessen in den Vereinigten Staaten einen hervorragenden Ruf. Die Zahlen sind beeindruckend, seien es die Kollaborationsprojekte, der Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder die Mobilität von Studierenden. Fast alle renommierten Forschenden, wie etwa die Nobelpreisträger oder die Preisträger und die Preisträgerin des Schweizer Wissenschaftspreises Marcel Benoist, haben einige Zeit in den USA verbracht. Aus diesen persönlichen Erfahrungen entsteht ein wunderbares Spinnennetz aus internationalen Kollaborationen, da die Zusammenarbeit mit den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, den Universitäten und Forschungszentren weitergeführt wird. Und natürlich finden sich auch in der Schweiz ausgezeichnete US-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler!
Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die wichtigsten schweizerischen wissenschaftlichen Nachrichten?
PL: Schweizer Forschende und Innovatoren arbeiten an der vordersten Front von mehreren neuen Technologien, obwohl einige dieser Technologien erst vor Kurzem relevant geworden sind – etwa die Forschung an Impfstoffen im Zusammenhang mit Covid-19, die Quantentechnologie oder Hochleistungsrechner. Neben der Exzellenz der involvierten Forschenden trägt meiner Meinung nach der hohe Anteil an Grundlagenforschung zu diesen Erfolgen bei. Damit werden Forschungsaktivitäten verfolgt, welche zunächst vielleicht wenig relevant erscheinen, dann aber plötzlich sehr wichtig werden können.
MM: Die Schweiz hat innerhalb der Prioritäten, die von der Kommission von der Leyen definiert worden sind, in vielen Gebieten eine führende Stellung. Forschende und Spin-offs der ETH Zürich und der Universität Zürich stehen im europäischen und globalen Wettbewerb in der «pole position», zum Beispiel mit der intuitiven Programmiersprache für Quantencomputer und im Rennen um die Quantentechnologien. Die ETH Zürich investiert gerade in ein neues Gebäude für Quantenforschung. Von der Universität Zürich wurde kürzlich der Durchbruch bei der personalisierten Hauttransplantation vermeldet. All dies verleiht der Schweiz ein ausgezeichnetes Profil, um sich den grossen europäischen und internationalen Aufgaben zu stellen.
ADB: Die schweizerische F&I-Landschaft spielt auf internationaler Ebene eine führende Rolle. Ein aktuelles Beispiel ist die Entwicklung der SwissCovid App durch die ETH Zürich und die EPFL in Zusammenarbeit mit den grössten Technologieunternehmen des Silicon Valley. Dank ihrer Exzellenz können die Schweizer Universitäten mit den wichtigsten Playern an einem Tisch sitzen, wenn es um das Festlegen von Standards für eine vertrauenswürdige digitale Zukunft geht.
Was wünschen Sie sich für die schweizerische Forschungslandschaft 2021?
PL: Ich wünsche mir, dass Forschungsakteure mit der neuen Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation 2021-2024 des Bundes weiterhin kräftig unterstützt werden und dass die Schweiz an sämtlichen globalen Aktivitäten in diesen Bereichen auch künftig stark beteiligt sein wird. Und ich erhoffe mir eine ebenso starke Unterstützung mit der neuen Botschaft für die Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe, am Euratom-Programm, am Digital Europe Programme und für unsere Beteiligung an ITER 2021-2027 – und natürlich hoffe ich auf eine rasche Assoziierung an die nächste Generation von EU-Programmen!
MM: Die Europäische Union steht in den kommenden Monaten vor vielen schwierigen Aufgaben. Sobald das neue Budget 2021-2027 und der Aufbauplan verabschiedet sind, müssen alle neuen Programme implementiert und Assoziierungsabkommen mit Drittstaaten wie der Schweiz erneuert werden. Ich wünsche mir für die Schweizer Forschungs- und Innovationsakteure einen reibungslosen Übergang zur nächsten Generation von Programmen und dass die Schweiz bei ihrer Teilnahme an diesen Initiativen weiterhin so brilliert.
ADB: In diesen herausfordernden Zeiten von Covid-19 ist das Zusammenspiel von Forschenden mit politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern ganz entscheidend. Ich persönlich wünsche mir, dass zwischen diesen zwar unterschiedlichen, sich aber ergänzenden Welten weiterhin Brücken gebaut werden. Und natürlich hoffe ich, dass die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den USA in den kommenden Jahren auch weiterhin wächst.