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Wenn aus Schweizer Fichte so etwas wie Ebenholz wird

Wie ein Spin-off der ETH Zürich und der Empa Saiteninstrumente neu zum Klingen bringt, weshalb dies den Tropenwäldern hilft und was die Finanzierung von Spin-offs mit Badewannen verbindet. 

Auf dem Tisch liegen zwei Violinen. Daneben steht eine elegante Gitarre in ihrer Halterung. Auf Tablaren an der Wand reihen sich Bauteile für Klarinetten und Oboen. Nein, wir befinden uns nicht in einer Musikhandlung und auch nicht im Proberaum einer Musikschule. Wir sind auf dem ETH Campus Hönggerberg im Büro von Oliver Kläusler, Holztechnologe und CEO des Start-ups Swiss Wood Solutions AG. Was da auf dem Tisch und den Regalen liegt, ist das Resultat einer klugen Geschäftsidee und zugleich die Antwort auf ein Nachhaltigkeitsproblem. «Es begann mit einem Gespräch in der Kaffeepause vor fünf Jahren», erzählt Oliver Kläusler, als wir uns mit ihm und seinem Geschäftspartner Munish Chanana und dem Geigenbauer Gaspard Clerc an den Tisch setzen. Oliver Kläusler leitete damals eine Forschungsgruppe an der Professur für Holztechnologie der ETH Zürich, wo der diplomierte Geigenbauer Gaspard Clerc gerade dabei war, seine Bachelorarbeit in Holztechnologie zu schreiben. «Wir haben in einer Kaffeepause darüber gesprochen, was er sonst noch so macht und sind auf das Thema Musikinstrumente gekommen. Gaspard erzählte mir, dass es für Instrumentenbauer immer schwieriger wird, Tropenhölzer für Griffbretter und Saitenhalter von Streichinstrumenten zu finden. Gutes Ebenholz würde immer knapper, da die Baumbestände durch jahrzehntelange Übernutzung rapide abnehmen. 

«In fünf Jahren werden wir
ein wachsendes KMU in der Schweiz sein
und eine Niederlassung
in Nordamerika haben.»
Oliver Kläusler

Es bräuchte eine Alternative, welche die Qualität von Ebenholz besitzt und zugleich nachhaltig ist.» Aus diesem Gespräch entstand die Idee, einheimische Hölzer wie Fichte, Buche oder Ahorn technologisch so zu verändern, dass sie die Dichte, die Härte und die Klangeigenschaften von Ebenholz erhalten. Einheimisches Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft liesse sich so in ein wertvolles Qualitätsprodukt für Instrumentenbauer verwandeln und würde damit zugleich das Nachhaltigkeitsproblem lösen. Unterstützt von den Holzforschungsabteilungen der ETH Zürich und der Empa machten Oliver Kläusler und sein Teamkollege Walter Sonderegger erste Versuche, bei denen sie die klassische Holztechnologie der Verdichtung einsetzten. Dabei wird Holz in einer Presse unter extremem Druck komprimiert. Die Ergebnisse ihrer Experimente waren vielversprechend. Es gelang ihnen, durch geschickte Modifikationen des Pressverfahrens einheimische Hölzer so zu verdichten, dass ihre Qualität nahe an jene von Ebenholz herankam. Gaspard Clerc, der in der Instrumentenbauszene gut vernetzt ist, zeigte die Hölzer mehreren Geigenbauern und die waren interessiert. «Geigenbauer suchten schon länger nach Alternativen zu Ebenholz und dies nicht nur aus handwerklichen und kommerziellen Gründen. Es geht ihnen auch um den Ruf ihrer Branche. Musiker fühlen sich als Künstler dem Guten verpflichtet und wollen nicht mit der Vernichtung der Tropenwälder in Verbindung gebracht werden, nur weil die Instrumentenbauer die Griffbretter ihrer Violinen, Bratschen oder Celli aus Ebenholz fertigen», erklärt uns Gaspard Clerc. 

Von Verfahren, Geheimnissen, Violinen und Bratschen 

Doch die beiden waren noch nicht am Ziel. Es gab da noch das Problem des «spring-back»-Effekts. Verdichtetes Holz quillt, wenn es feucht wird, in seine ursprüngliche Form zurück. Schon geringe Veränderungen der Luftfeuchtigkeit reichen, dass sich Holz ausdehnt. Und dann waren da auch noch die ästhetischen Wünsche der Geigenbauer. Griffbretter für Streichinstrumente sollten dunkel sein wie Ebenholz, einheimische Hölzer aber sind hell. 

«Ohne diesen Beitrag der EU hätten
wir möglicherweise aufhören müssen.»
 Munish Chanana

Das war der Moment, in dem Oliver Kläusler seinen Institutskollegen, den Chemiker Munish Chanana, an Bord holte. Motiviert durch die ermutigenden Reaktionen aus der Geigenbauerszene reichten Oliver Kläusler und Munish Chanana bei der Gebert Rüf Stiftung einen Forschungsantrag ein. Dieser hatte zum Ziel, einen Weg zu finden, die Struktur des verdichteten Holzes zu stabilisieren und ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sich aus einheimischen Holzarten qualitativ erstklassige Holzprodukte für den Instrumentenbau produzieren lassen. Rund 24 Monate forschte und experimentierte das Team von Kläusler und Chanana und blieb dabei im engen Kontakt mit den Instrumentenbauern. Dann kam der Durchbruch. Munish Chanana war es gelungen, eine Technik und ein Herstellungsverfahren zu entwickeln, durch das sich einheimisches Holz in «Ebenholz» verwandelt. Dabei werden die Hölzer vor dem Verdichten in einem Flüssigkeitsbad behandelt. Dessen Rezeptur und die Art der Verdichtung bilden die Schlüssel des Verfahrens und sind geheim. Munish Chanana gibt uns bei unserem Gespräch aber ein paar Hinweise, worauf es ankommt. «Man muss die Holzchemie, die Holzstruktur und die Holzphysik verstehen. Durch die gezielte Veränderung der holzeigenen Chemie wird die natürliche Struktur so gefestigt, dass das Holz nicht mehr zurückquellen kann. Beim Verdichten in der Presse werden die physikalischen Parameter Feuchtigkeit, Temperatur und Druck dann so aufeinander abgestimmt, dass am Ende genau das Material herauskommt, das wir heute haben.» Jetzt war das Momentum erreicht, dieses Knowhow in die Gesellschaft zu transferieren. Oliver Kläusler und Munish Chanana gründeten 2016 gemeinsam mit Kollegen die Firma Swiss Wood Solutions AG als Spin-off der ETH Zürich und der Empa in Dübendorf und begannen im Keller des ETH Institutsgebäudes in kleinen Mengen Hölzer für Griffbretter und Saitenhalter von Violinen zu produzieren. Dank der guten Kontakte von Gaspard Clerc, der inzwischen an der TU München an seiner Dissertation schrieb, erklärten sich Geigenbauer bereit, mit dem neuen Material zu arbeiten, und waren vom Resultat begeistert. Es zeigte sich, dass verdichtete Fichte den Schall schneller leitet, das Instrument klarer klingen lässt und erst noch präziser bearbeitbar ist als Ebenholz. Auch bei Musikerinnen und Musikern kam das neue Material, das ihre Erfinder «Sonowood» nannten, sehr gut an. Mehr und mehr Solistinnen und Solisten liessen sich die abgenutzten Ebenholzgriffbretter und Saitenhalter ihrer Violinen und Bratschen durch verdichtete Fichte oder Ahorn ersetzen. Die Nachfrage stieg und Swiss Wood Solutions hätte schon bald mehr Hölzer verkaufen können, als sie im Keller der ETH Zürich unter Laborbedingungen produzieren konnten. 

Von Badewannen, Durststrecken und Defiziten der Spin-off Förderung

Ein knappes Jahr nach der Gründung ihres Spin-off hatten Oliver Kläusler und Munish Chanana in der Entwicklung ihres Produkts einen Meilenstein erreicht. Jetzt leiteten sie die Kommerzialisierung ein. «Wir haben eine grosse Produktionsmaschinerie bestellt, die Ende August 2019 an der Empa in Dübendorf installiert wird. Sie wird uns erlauben, in grösserem Massstab zu produzieren, sowohl was die Bauteilegeometrie als auch die Anzahl der Bauteile betrifft», erzählt uns Oliver Kläusler. 

«In der Schweiz fehlen Förderinstrumente,
die namhafte Beträge
direkt in die Start-ups lenken.»
Oliver Kläusler

Doch da war noch eine weitere Hürde zu nehmen. Das Verfahren funktionierte vorerst nur für die Produktion von Holzstücken von 30 bis 40 Zentimetern in kleinen Mengen. Nun begann das Upscaling. Dazu waren aber weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nötig. «Es ist nicht trivial, etwas auf dem Zentimetermassstab zu erreichen und es dann auch auf dem Metermassstab zum Funktionieren zu bringen. Da steckt sehr viel Prozesswissen und Anwendungsforschung dahinter», sagt Munish Chanana. Swiss Wood Solutions brauchte also nochmals eine Geldquelle, um den zusätzlichen beträchtlichen Forschungs- und Prozessentwicklungsaufwand zu finanzieren und fand sie in letzter Minute bei der «SME Initiative» des EU-Forschungsförderungsprogramms Horizon 2020. Mit diesem Instrument unterstützt die EU innovative KMUs, neuartige und vielversprechende Produkte auf den Markt zu bringen. 

«Nicht nur Hochschulen forschen.
Auch Start-ups haben
Forschungs-Knowhow und müssen
Entwicklung betreiben.»
Munish Chanana

Mitte Oktober 2017 reichte Munish Chanana den Projektantrag ein, kurz vor Weihnachten erhielt Swiss Wood Solutions die Zusage: 1,53 Millionen Euro für zwei Jahre. «Ohne diesen Beitrag der EU hätten wir möglicherweise aufhören müssen», bemerkt Munish Chanana und spricht damit ein Problem an, mit dem viele Spin-offs in der Schweiz zu kämpfen haben – der Finanzierung auf der «letzten Meile». Meist dauert es Jahre, bis ein Spin-off mit einem Produkt Geld verdient. Dazwischen liegen Phasen, in denen es immer wieder neue Mittel braucht, um das Produkt weiter zu entwickeln. Oliver Kläusler vergleicht diese Phasen mit einer Badewanne. «Am Anfang haben wir die Badewanne mit Gründerkapital gefüllt. Aber sobald das Spin-off zu arbeiten beginnt, zieht man den Stöpsel. Unten läuft das Wasser raus – für Löhne, Sozialausgaben, Material usw. Oben aber ist der Wasserhahn zu. Es läuft kein Wasser in die Wanne, da man ja noch nichts verkauft. Der Druck, rasch vorwärts zu kommen, ist enorm.» Förderungsprogramme können diese «Durststrecke» überbrücken, indem sie dafür sorgen, dass die Badewanne nicht leer wird, bevor sich oben der Hahn öffnet. Diese Art Spin-off Förderung funktioniert in vielen Ländern sehr gut, nicht aber in der Schweiz. Oliver Kläusler beschreibt seine Erfahrungen so: «Einerseits ist Spin-off Förderung in der Schweiz in der Öffentlichkeit sehr präsent. Es gibt viele Stellen, die wir kontaktieren können, wie Venture Lab und andere. Man erhält dann Coachings oder Beiträge aus einzelnen kleineren Töpfen; zwischen 1000 bis auch mal 10’000 Franken. Das ist sehr hilfreich und gut. Was in der Schweiz im internationalen Vergleich aber fehlt, sind Förderinstrumente, die wirklich namhafte Beträge direkt in die Start-ups lenken, damit diese in der oft langen Entwicklungsphase Löhne und Entwicklungskosten zahlen können. Man könnte diese Beiträge ja an Bedingungen knüpfen, es soll ja nicht ein Spassgeld sein. Aber das wäre dann wohl eine Art Wirtschaftsförderung, die in der Schweiz im Moment politisch nicht erwünscht ist.» Und Munish Chanana legt nach: «Es sind ja nicht nur Hochschulen, die forschen. Auch Start-ups haben Forschungs-Knowhow und müssen Entwicklung betreiben. Sie brauchen diesen Förderungsschub. Die USA, China und Deutschland sind da sehr viel weiter.» Tatsächlich erhielten die beiden Firmengründer bereits attraktive Angebote, ihre Firma in den Schwarzwald oder nach China zu verlegen. Ein chinesischer Vermittler, der regelmässig an Start-up Veranstaltungen in der Schweiz präsent ist, stellte Swiss Wood Solutions kürzlich bis zu 10 Millionen US-Dollar Startkapital in Aussicht, wenn das Unternehmen mit all seinem Knowhow nach China zieht. Doch ein Umzug ist für die beiden Firmenchefs zurzeit kein Thema. Als nächstes geht es jetzt erst einmal darum, mit dem neuen Produktionszentrum an der Empa in Dübendorf die Produktepalette zu erweitern. Der Instrumentenbau dient dabei als Türöffner. 

«Musiker wollen nicht
mit der Vernichtung der Tropenwälder
in Verbindung gebracht werden.»
Gaspard Clerc

Neben Griffbrettern, Saitenhaltern für Streichinstrumente und Gitarren, Bauteilen für Klarinetten und Oboen und Klaviaturen für Tasteninstrumente soll der Produktekatalog dereinst auch Echtholzoberflächen für Möbel und Parkette umfassen. Wo sehen sie ihr Start-up denn in fünf Jahren, fragen wir Oliver Kläusler zum Schluss unseres Gesprächs. Er überlegt kurz, während Gaspard Clerc und Munish Chanana die beiden Violinen auf dem Tisch sorgsam ins Futteral zurücklegen. Dann bringt er die Vision von Swiss Wood Solutions in drei Sätzen auf den Punkt: «In fünf Jahren werden wir ein wachsendes KMU in der Schweiz sein. Wir werden eine Niederlassung in Nordamerika haben, wo wir nordamerikanische Holzarten aus nachhaltiger Waldwirtschaft vor Ort modifizieren und auf dem dortigen Markt verkaufen. Und wir werden auch schon darüber nachdenken, einen dritten Standort in Asien oder Afrika aufzubauen.»

Interview mit Oliver Kläusler (englisch)
Munish Chanana

Munish Chanana studierte Chemie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster und verfasste seine Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Danach arbeitete er mehrere Jahre als Forscher in Nanowissenschaften an verschiedenen europäischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Vor seinem Einstieg bei der Swiss Wood Solutions leitete er die Forschungsgruppe für hierarchische nanobiologische Materialien an der ETH Zürich und arbeitete an seiner Habilitationsschrift für die Universität Bayreuth. Munish Chanana ist Co-CEO und Forschungsleiter von Swiss Wood Solutions AG.

Oliver Kläusler

Oliver Kläusler studierte Wood Science and Technology an der Universität Hamburg und verfasste seine Doktorarbeit an der ETH Zürich. Danach arbeitete er als Forschungsingenieur und Projektmanager in der Holzindustrie in der Schweiz, Tschechien und den USA. Er ist der Erfinder und Entwickler der Produktionstechnologie von zwei Beaufort-Produkten aus Holz und Aluminium für den Innenraum von Audi Fahrzeugen. Später leitete er eine Forschungsgruppe für angewandte Holzwissenschaft und Technologie an der Empa in Dübendorf und der ETH Zürich. Oliver Kläusler ist Mitgründer und erster CEO von Swiss Wood Solutions AG.

SME Instrument

SME Instrument ist ein Finanzierungsinstrument der EU, mit dem sie hoch innovative KMUs (Small and Medium Enterprises) dabei unterstützt, neuartige Produkte zur Marktreife zu entwickeln. Sie verfolgt damit das Ziel, vielversprechenden Neuentwicklungen zum Markteintritt zu verhelfen und dadurch Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Das SME Instrument wird im Rahmen des Forschungsförderungsprogramms Horizon 2020 finanziert und verwaltet.

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