TOP

Forschung und Ausbildung im europäischen Grosslabor

Ein internationales Team von Forschenden arbeitet daran, die Strahlentherapie mit individualisierten Behandlungsmethoden zu optimieren. Koordiniert wird das mit einem ITN Grant finanzierte Projekt von Martin Pruschy, Professor für Molekulare Radiobiologie an der Universität Zürich: Ein Blick in die Zukunft der Krebsbehandlung. 

Das monumentale Bestrahlungsgerät, das für die Forschung eingesetzt wird, steht gut isoliert in den Tiefen des Universitätsgebäudes auf dem Campus Irchel weit unter dem Erdboden. Für den grössten Teil der Arbeit kann das Team von Professor Martin Pruschy jedoch die hellen Büros und Labors eines Obergeschosses nutzen.

Martin Pruschy leitet das Labor für Angewandte Radiobiologie, das der Klinik für Radio-Onkologie des Universitätsspitals Zürich angegliedert ist. Radio-Onkologie ist ein Hauptpfeiler der Krebstherapie. Über 50 Prozent der Patientinnen und Patienten werden im Verlaufe ihrer Behandlung bestrahlt. Zugleich ist die Radiotherapie per se sehr interdisziplinär: abhängig von der Physik, den Linearbeschleunigern, den bildgebenden Techniken – nur mit der Computertomographie oder dem Magnetresonanz-Imaging lässt sich ein Tumor präzise lokalisieren. Zentrales Element ist aber immer die Biologie, denn nur mit ihr ist es möglich, die Prozesse innerhalb des Tumors zu verstehen. Und: Es wird immer etwas normales Gewebe mitbestrahlt. Also müssen auch die Prozesse im gesunden Gewebe analysiert werden.

Doch Forschung im Bereich Radiobiologie ist sehr viel weniger verbreitet als etwa diejenige in Molekularer Onkologie. Genau hier setzt das Projekt an, das mit einem Innovative Training Network Grant der Marie-Skłodowska-Curie-Actions finanziert wird und das Pruschy koordiniert: Mit dem internationalen Netzwerk lassen sich acht Labors in Europa quasi zu einem grossen Labor zusammenführen. So kann viel mehr Forschungsarbeit geleistet werden, als den einzelnen Labors möglich wäre. 

Theradnet heisst das vier Jahre laufende ITN-Programm oder mit vollem Namen International NETwork for training and innovations in THErapeutic RADiation. An acht Universitäten in sechs europäischen Ländern arbeiten dabei insgesamt 15 Doktorierende und teilen sich die Forschung an drei Themen auf.

Andere Strahlen, andere Wirkungen 

Ein Teil der Forschenden widmet sich der Tumorsensibilisierung, d.h. dem Einfluss der Strahlenqualität von Photonen und Protonen auf molekulare Zellreaktionen. Denn neben der klassischen Bestrahlung durch Photonen kommen in der Krebsbehandlung zunehmend neue Bestrahlungsmethoden zum Zug. Das Paul Scherrer Institut in Villigen etwa arbeitet mit Protonenbestrahlung und in Heidelberg sowie wenigen anderen Zentren rund um den Globus wird auch mit Carbon-Ionen-Partikeln bestrahlt. Diese beiden Strahlungsarten haben physikalische Vorteile: Die Strahlen treffen den Tumor mit maximaler Präzision und erreichen das Gewebe dahinter nicht, während Photonen durch den Tumor hindurch strahlen und so auch das Gewebe hinter dem Tumor beeinträchtigen. 

Mit der Protonenbehandlung werden auch auf der molekularen Ebene andere Prozesse ausgelöst als mit Photonen. Deshalb untersuchen die Forschenden, warum gewisse Tumorzellen besser oder schlechter auf Protonenbestrahlung ansprechen als auf Photonen. Wenn z. B. unterschiedliche Reparaturmechanismen der DNA benützt werden, um Photonen- oder Protonenschäden zu reparieren, könnte man unter Umständen erkennen, welcher Tumor bzw. Patient für welche Bestrahlung besser geeignet ist. 

Präklinische und klinische Studien

Das zweite Forschungsprojekt dreht sich um die Flash-Therapie: Normalerweise werden mit der Photonenbestrahlung Dosen von zwei Gray innerhalb von zwei Minuten pro Tag appliziert – 1 Gray entspricht 1 Joule pro Kilogramm absorbierter Energie. Mit der neuen Flash-Therapie, einer ultraschnellen Bestrahlung, soll eine Dosis von mehr als 40 Gray pro Sekunde appliziert werden. Diese Therapieform steckt noch in der präklinischen Phase. Sie hat verschiedene Vorteile. Es zeigt sich etwa, dass diese hochdosierte und zugleich ultraschnelle Bestrahlungsform das mitbestrahlte Normalgewebe weniger schädigt. Nun geht es darum, die dabei ablaufenden biologischen Prozesse zu verstehen und die Therapie dann in den klinischen Bereich zu überführen. 

Im dritten Forschungsprojekt geht es um Resistenzen und pharmazeutische Wirkstoffe. Mit der Dauer und Art der Bestrahlung entwickelt der Tumor Abwehrmechanismen gegen die Behandlung und es kommt zu Nebenwirkungen – guten und schlechten. Eine klassische, fraktionierte Bestrahlung etwa kann die meist vorhandene Sauerstoffarmut im Tumor beheben, wodurch der Tumor auf die Bestrahlung besser anspricht. Bei den höheren Dosen pro Fraktion, die man dank der technischen Entwicklung nun abgeben kann, laufen andere Prozesse in den bestrahlten Tumorgefässen ab. Es zeigt sich, dass sich dabei die Sauerstoffarmut erhöht statt vermindert. Die höhere Dosierung pro Fraktion ist also vermeintlich schädlich, wird aber durch andere biologische Prozesse im Tumor kompensiert. Basierend auf dem Verständnis dieser Prozesse können neue Konzepte für die Radiochemotherapie entwickelt werden.

Martin Pruschy fasst zusammen: «Durch die Entwicklung von der tiefdosiert- zur hochdosiert-fraktionierten Bestrahlung zeigte sich durch die neu ausgelösten Prozesse, dass das Immunsystem mit eine Rolle für den Erfolg einer Radiotherapie spielen kann. Der nächste Schritt besteht nun darin, diese immuntherapeutischen Möglichkeiten voll auszunutzen und mit der Radiotherapie zu kombinieren.» Beim lokal-fortgeschrittenen Lungenkarzinom etwa konnte die Erfolgsrate damit von 20 auf 40 Prozent erhöht werden.

Allerdings bestehe jede dieser Entwicklungen aus steten, aber kleinen Schritten in Richtung verbesserter Überlebens- und Heilungschancen, fügt Pruschy an. Die Entwicklung der Heilungschancen beim Brustkrebs veranschaulicht dies. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg lagen die Überlebenschancen bei zehn bis 20 Prozent – heute, 70 Jahre später, liegen sie bei 80 bis 90 Prozent. 

Austausch zwischen den jungen Forschenden

Nicht alle Forschenden haben Zugang zu allen Apparaturen, welche für diese Forschungsprojekte relevant sind. In Zürich etwa bestehen keine Möglichkeiten zur Flash-Therapie. Doch innerhalb des ITN-Programms können die Doktorierenden für zwei Monate nach Paris reisen und dort ihre Forschungsergebnisse an der Flash-Therapie untersuchen. Oder: In Brüssel hat jemand etwas in vitro auf zellulärer Ebene entwickelt und möchte dies in vivo untersuchen. Dann kann er für ein paar Monate nach Zürich kommen, wo ein entsprechendes Kleintierbestrahlungsgerät steht. 

Alle Doktorierenden sollten zwei bis drei Auslandaufenthalte an verschiedenen Partneruniversitäten absolvieren können. Auch die nichtakademischen Partner bieten teilweise die Möglichkeit zu einem Studienaufenthalt. Mit dabei im Netzwerk sind grössere Industriefirmen wie Varian, ein Produzent von Linearbeschleunigern, aber auch Start-up-Unternehmen, welche am Kontakt zu Vertretern der präklinischen Forschung in Radiobiologie interessiert sind.

Als Koordinator des Projekts verbringt Martin Pruschy momentan einen Wochentag mit Theradnet – administrativ, mit der Logistik sowie damit, alle Beteiligten trotz Covid-Einschränkungen bei der Stange zu halten und weiter zu motivieren. Dafür wird er auch kreativ. So wurden kürzlich alle Teilnehmenden des Programms im Anschluss an ein dreitägiges Meeting mit einem Mug beschenkt, der mit einem Screenshot aller Personen während des Zoom-Meetings bedruckt ist – ein kleiner Trost dafür, dass man sich nicht wie vorgesehen zwei- bis dreimal pro Jahr physisch treffen kann.

Pruschy war schon 2015 bis 2019 an einem ITN-Projekt beteiligt: Im Projekt Radiate arbeiteten 14 Studierende zusammen. «Damit wird eine junge Generation von Radiobiologen ausgebildet, die in zehn bis 20 Jahren die Entwicklung in Europa weitertragen und bestimmen kann – der Grundgedanke eines Marie Skłodowska-Curie-Projekts», betont er. 

Erfahrung und Vertrauen

Und was treibt ihn dazu an, schon zum zweiten Mal die Lehre so stark ins Zentrum seiner Arbeit zu stellen? Martin Pruschy lacht und bleibt bescheiden. Er habe seine eigenen SNF- und Innosuisse-Grants, meint er. 2014 wurde er darauf angesprochen, ob er beim ersten Marie Skłodowska-Curie ITN Grant mitmachen wolle. «Ich kam so relativ einfach zu zwei Doktorierenden für meine eigene Forschung», erinnert er sich. Erst später realisierte er, dass die Doktorierenden in einem solchen Programm viel Zeit auf die Wissensvermittlung und -vernetzung verwenden. Doch die Qualität der Forschungsarbeiten wurde durch die vielen Reisen und Meetings im Rahmen des ITN-Projekts nicht geschmälert und war vergleichbar mit denen anderer PhD-Studierenden. 

Theradnet wuchs dann aus dem ITN Grant-Projekt Radiate: Die «Principal Investigators», die Hauptakteure, kannten sich schon, man hatte bereits Vertrauen und Respekt. Und: «Alle wussten bereits, dass sie von einer solchen Forschungszusammenarbeit profitieren würden», versichert der Koordinator.

Der Zeitaufwand allerdings sei nicht zu unterschätzen, fügt er an. Pruschy hat für seine Koordinatorentätigkeit Hilfe von einem Network-Manager und wird auch weiterhin eng von EU GrantsAccess unterstützt, die den Antrag mitvorbereitet und vor allem im nicht-wissenschaftlichen Teil die überfachlichen Aspekte geprägt hat.

Ein gutes Management-Team aufzubauen, rät Pruschy denn auch allen, die ein ähnliches Projekt anvisieren. Ausserdem arbeitet er sehr eng mit zwei anderen Principal Investigators zusammen: Die 1000 Stunden, die aufgewendet wurden, um den Antrag für den Grant zu erstellen, so erzählt er, würden sich zu gleichen Teilen zwischen den drei Initianten aufteilen – Professorin Verena Jendrossek von der Universität Duisburg-Essen, Professor Ludwig Dubois von der Universität Maastricht und Pruschy selber. 

ITN-Anträge haben kleine Erfolgschancen

Zugunsten der Kontinuität suchte man für Theradnet 2019 mehr oder weniger dieselben Personen aus wie für Radiate. Ausgewählt wurden die Partner also durch persönliche Kontakte, aber auch aufgrund der Leistungsausweise und der Verteilung über den EU-Raum, um das Potential weiterzuentwickeln. Zu den nichtakademischen Partnern zählen neben den industriellen Partnern eine politische Organisation, Patientenorganisationen sowie ein Verlag.

Nur sechs Prozent der Anträge für einen ITN Grant sind von Erfolg gekrönt. Und es sprach auch einiges gegen eine Annahme von Theradnet: Das Programm folgt quasi nahtlos auf Radiate und federführend ist jemand aus der Schweiz. Trotzdem hat es geklappt. Pruschy hält es für einen Teil seiner Verantwortung der Forschung und letztlich den Betroffenen gegenüber, so eine Arbeit zu leisten. «Aber auch für den Forschungsstandort Zürich als auch für das Renommee der Universität ist es wichtig, wenn so ein Projekt von Zürich aus geleitet wird», fügt er an.

Interview mit Martin Pruschy
Martin Pruschy

Martin Pruschy ist ausserordentlicher Professor für Molekulare Radiobiologie an der Universität Zürich. Er studierte Biochemie an der ETH Zürich und doktorierte dort im Bereich der zellulären Grundlagenforschung. Als Postdoc forschte er drei Jahre am Departement für Chemie der Harvard Universität im Bereich der chemisch-kontrollierten Gentherapie und ein Jahr am Institut für Radio-Onkologie der Universität Zürich. 2003 habilitierte er in Translationaler Forschung in Onkologie an der Universität Zürich. Seit 1997 leitet er die Forschungseinheit für Molekulare und Angewandte Radiobiologie an der Klinik für Radio-Onkologie des Universitätsspitals Zürich. Ausserdem ist er Dozent am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik der ETH Zürich. Daneben engagiert er sich auch intensiv im Bereich Lehre auf europäischer Ebene. Martin Pruschy ist Vater von zwei erwachsenen Kindern und wohnt in Zürich.

Horizon 2020 Projekt

THERADNET: International NETwork for training and innovations in THErapeutic RADiation

  • Projektart: Marie Skłodowska-Curie Innovative Training Networks
  • Laufzeit: 1. September 2019 – 31. August 2023 (48 Monate)
  • Beitrag für die Universität Zürich: 562’553 €

www.theradnet.eu

Das könnte Sie auch interessieren