TOP

Entscheidung in Athen

Wie ein internationales Forschungsteam um ETH Professor Dimos Poulikakos mit EU-Mitteln neue Technologien zum Umgang mit Wasser entwickelt und wie die EU die Arbeit der Forschenden überprüft. Eine Reportage.

Sie fühlen sich ein bisschen wie vor einer Prüfung, die 25 Forscherinnen und Forscher des HARMoNIC-Konsortiums, die an diesem sonnigen Novembermorgen in einem Seminarraum des National Center for Scientific Research (NCSR Demokritos) im Nordosten Athens Platz nehmen. Vor rund zwei Jahren haben sie sich auf Initiative von Dimos Poulikakos, Professor für Thermodynamik an der ETH Zürich, zusammengeschlossen, um beim Förderprogramm FET der Europäischen Kommission ein Projekt einzureichen, das die bisherigen Technologien zur Kondensation von Wasser revolutionieren soll. Mit ihrem Projekt zielen sie auf drei Bereiche: Beim ersten geht es darum, den Wasser-Dampf-Kreislauf in thermischen Kraftwerken markant zu verbessern. Der Dampf, der die Turbinen zur Stromerzeugung antreibt, soll auf effizienteste Weise sofort wieder zu Wasser kondensieren, das dann wiederum in Dampf umgewandelt werden kann. Je schneller dieser Kondensationsprozess erfolgt und je rascher das Wasser vom Kondensator abfliesst, desto energieeffizienter arbeitet das Kraftwerk. Der zweite Bereich sucht nach Wegen, um in trockenen Gebieten mit hoher Luftfeuchtigkeit auf optimale Weise Trinkwasser aus der Luft zu gewinnen. Der dritte Bereich schliesslich beschäftigt sich mit der Frage, wie sich handelsübliche Membrane, die zur Entsalzung von Meerwasser eingesetzt werden, signifikant verbessern lassen. 

«Wir werden über
neuartige Materialien
verfügen, die bis zehn Mal
effizienter sind als jene,
die wir heute haben.»

Das HARMoNIC-Projekt, an dem Forschende aus den Gebieten Thermodynamik, Materialwissenschaften, Oberflächen- und Nanotechnologie mitwirken, überzeugte die EU-Kommission aus zwei Gründen: Zum einen wegen seines innovativen, interdisziplinären Ansatzes. Zum anderen, weil es auf zwei grosse globale Herausforderungen zielt: Den steigenden Bedarf nach Trinkwasser und nach Energie. Im Februar 2018 stimmte die EU-Kommission dem HARMoNIC-Projekt zu und bewilligte ein Budget von drei Millionen Euro für drei Jahre. Im Oktober 2018 nahm das Konsortium die Arbeit auf.

Kritische Fragen …

Jetzt, ein gutes Jahr später, kommen Projektleiter Dimos Poulikakos und Forschende des HARMoNIC-Konsortiums in Athen mit Vertretern der EU-Kommission zum formalen Überprüfungsverfahren zusammen, das gemäss den Regeln der EU ein- bis zweimal während der Laufzeit eines Projektes stattfindet, einen Tag dauert und als akademisches Hearing abläuft. Projektleiter und Mitglieder des Projektteams präsentieren dem zuständigen EU Project Officer und einer Gruppe unabhängiger externer Experten die Resultate ihrer bisherigen Forschungsarbeiten, erstatten Bericht, ob und wie sie die festgelegten Ziele erreicht haben und vermitteln einen Ausblick auf die nächsten Arbeitsschritte. Die Experten und der EU Project Officer diskutieren die Resultate mit den Forschenden des Konsortiums, stellen Fragen und verlangen Präzisierungen. Am Ende des Hearings geben die Experten ihre Einschätzung und ihre Empfehlungen ab, die sie später auch in einem schriftlichen Bericht an die EU festhalten. Mit ihrem Report erteilen sie dem Projekt quasi grünes Licht für die nächste Phase.

Es wundert daher nicht, dass die Forscherinnen und Forscher des HARMoNIC-Konsortiums an diesem Novembermorgen im Seminarraum des NCSR Demokritos in Athen etwas angespannt auf ihren Stühlen sitzen, als Adela Nicolaie, die als EU Project Officer für HARMoNIC zuständig ist, die drei externen Experten vorstellt: Philippe Ben-Abdalla, Forschungsdirektor am Centre national de la recherche scientifique in Paris, Adele Brunetti, Forscherin am Istituto per la Tecnologia delle Membrane an der Universität Kalabrien und Shirley Yvonne Ruth Pugh von SPMJ Technology Consulting Ltd. Sie bilden das kritische Fachpublikum, dem die Forschenden des Konsortiums nun in den folgenden Stunden detailliert vorlegen, was sie in den vergangenen zwölf Monaten erreicht haben. Neben den beiden Hochschulen ETH Zürich und University College London sind das Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, das Labor für Smart Materials des Istituto Italiano di Tecnologia in Genua und das Institut für Nanowissenschaft und Nanotechnologie des National Center for Scientific Research NCSR in Athen Mitglieder des HARMoNIC-Konsortiums. Jede dieser Institutionen ist spezialisiert auf Material-Technologien, die beim HARMoNIC-Projekt eine Schlüsselrolle spielen. 

… überzeugende Antworten 

Die Kondensatoren sowohl für Kraftwerke wie auch zur Wassergewinnung müssen so beschaffen sein, dass bei der Kondensation kein Wasserfilm, sondern sofort Wassertropfen entstehen, die so rasch als möglich abfliessen. Wie das in der Natur funktioniert, zeigt das Blatt der Lotospflanze. Seine Oberfläche weist eine Mikrostruktur auf, die das Wasser zwingt, Tröpfchen zu bilden, die dann wegrollen. Neben wasserabstossenden (hydrophoben) Qualitäten müssen die Materialien, aus denen die Kondensatoren bestehen, aber auch geeignete thermische Eigenschaften wie Isolier- oder Leitfähigkeit aufweisen. 

«Je schneller der Dampf kondensiert,
desto energieeffizienter arbeitet
das Kraftwerk.»

Inspiriert vom Lotosblatt haben die Forschenden Oberflächenprofile kreiert, die eine raffinierte Überlagerung von Mikro- und Nanostrukturen aufweisen und so superhydrophob wirken. Als Trägermaterialien solcher Strukturen eignen sich je nach Verwendungszweck Kunststoffe oder Metalle wie Aluminium, Kupfer und Stahl. Der Knackpunkt besteht darin, die optimale Struktur für den jeweiligen Verwendungszweck zu finden und die passende Fertigungstechnologie zu entwickeln, um dem Material die gewünschte Struktur zu verpassen. Geeignete Werkstoffe und Strukturen zu finden, sie experimentell herzustellen und sie zu charakterisieren, war denn auch das Etappenziel, das sich das HARMoNIC-Konsortium für das erste Projektjahr gesetzt hatte und das es den Experten nun vorstellt. Rund 20 neue Materialien, Strukturen und Verfahrenstechniken präsentieren die Forschenden des HARMoNIC-Projekts an diesem Hearing, das nur von einer kurzen Mittagspause unterbrochen wird. Ich nutze sie, um Dimos Poulikakos zu fragen, welche konkreten Ergebnisse er sich vom Projekt verspricht und wie diese umgesetzt werden. «Wir werden über Muster neuartiger, im Labor erprobter Materialien verfügen, die bis zehn Mal effizienter sein werden als jene, die wir heute haben», antwortet er. «Und wir werden gegen Ende des Projekts mit der Industrie zusammenarbeiten und über Pilotprojekte den Schritt in die Anwendung einleiten.» 

Gute Noten und Empfehlungen

Das Review Meeting dauert bis abends um halb acht, bis schliesslich alle Einwände und Fragen geklärt sind und sich EU Project Officer Adela Nicolaie und die drei Experten zu einer kurzen Beratung zurückziehen. Dann präsentieren sie den etwas erschöpften Forscherinnen und Forschern ihre Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Sie sind beeindruckt von der hohen Qualität der Forschungsergebnisse und der Leistung des HARMoNIC-Teams und empfehlen für die Weiterarbeit zwei Dinge: Zum einen raten sie, aus der Fülle der vorliegenden Materialien jetzt rasch eine Auswahl zu treffen und sich auf jene zu konzentrieren, welche die Forschenden für die vielversprechendsten halten. Zum anderen empfehlen sie, mit Blick auf die Anwendung Leistungskennzahlen zu definieren, mit denen sich die Performance der verschiedenen Materialien vergleichen lässt. Die Forscherinnen und Forscher des Konsortiums und Projektleiter Dimos Poulikakos sind zufrieden. 

«Kondensatoren müssen so beschaffen sein,
dass sofort Wassertropfen entstehen.»

Auch wenn der schriftliche Bericht der Experten erst in zwei Monaten vorliegt – das HARMoNIC-Team ist nach diesem entscheidenden Tag in Athen zuversichtlich: Das Projekt geht in die nächste Runde. Am Himmel leuchten bereits die Sterne, als Forschende, Experten und EU Project Officer den Campus des NCSR Demokritos verlassen und in die Stadt in ihre Hotels fahren.

Future and Emerging Technologies (FET)

Das HARMoNIC-Projekt wird über das EU-Förderinstrument Future and Emerging Technologies (FET) finanziert. Mit diesem unterstützt die EU wissenschaftlich-technologische Forschungsarbeiten, die neue Wege für grundlegende neue Technologien sondieren, geltende Paradigmen in Frage stellen und in unbekannte Bereiche vorstossen. Dabei geht es darum, vielversprechende neue Bereiche und Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und topkompetente Akteure aus Forschung und Innovation dafür zu gewinnen.

Projektmanagement

Sia Gosheva-Oney von EU GrantsAccess übernimmt in HARMoNIC entscheidende Projektmanagementaufgaben: Sie überwacht die termingerechte Abgabe von Deliverables, Milestones, wissenschaftlichen und finanziellen Berichterstattungen, organisiert und koordiniert Treffen des Konsortiums und stellt die Kommunikation innerhalb von HARMoNIC und gegen aussen sicher. Mit dieser Unterstützung können sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihrer Kernkompetenz – der Forschung – widmen.

Interview mit Dimos Poulikakos
Dimos Poulikakos

Dimos Poulikakos studierte Maschinenbau an der National Technical University of Athens (NTUA) und an der University of Colorado in Boulder (USA), wo er 1983 in Maschinenbau doktorierte. Bevor er 1996 als Professor für Thermodynamik an die ETH Zürich berufen wurde, wirkte er als Professor für Maschineningenieurwissenschaften an der University of Illinois (USA). Von 2005 bis 2007 gehörte er als Vizepräsident für Forschung der Schulleitung der ETH Zürich an. Seine aktuellen Forschungstätigkeiten umfassen die Gebiete Nanotechnologie, Thermodynamik, Grenzflächen- und Multiphasenphänomene und deren praktische Anwendung.

Horizon2020-Projekte

HARMoNIC: HierARchical Multiscale NanoInterfaces for enhanced Condensation processes

  • Projektart: Collaborative Project «FET-Open»
  • Dauer: 36 Monate, 5 Partner
  • Beitrag für die ETH Zürich: 1’081’971 €

https://harmonic.ethz.ch

 

INTICE: Pathways to Intrinsically Icephobic Surfaces

  • Projektart: ERC Advanced Grant
  • Dauer: 60 Monate
  • Beitrag für die ETH Zürich: 2’498’043 €

https://cordis.europa.eu/project/id/669908

YOU MAY ALSO LIKE