Profis für Brüssel
Wie Euresearch Forschenden hilft, an EU-Programmen mitzuwirken. Fünf Fragen an Regina Schneider, Direktorin Euresearch und Karl Kerschbaum, EU GrantsAccess und regionaler Netzwerkkoordinator bei Euresearch.
Wozu braucht es Euresearch?
Regina Schneider (RS): In erster Linie, damit die Forschenden in der Schweiz bei der EU einfach und effizient Anträge einreichen können und an Forschungsgelder kommen. Euresearch ist dezentral organisiert, mit regionalen Büros an allen Hochschulstandorten der Schweiz und einer Geschäftsstelle in Bern, die koordiniert, vernetzt und Informationen und Dienstleistungen zur Verfügung stellt. Diese dezentrale Netzwerkorganisation ist unsere grosse Stärke. Die Mitarbeitenden in den regionalen Büros sind nahe bei den Forschenden, kennen deren spezielle Situation, sind vertraut mit den Strategien, der Kultur und den Gepflogenheiten vor Ort. Sie können flexibel und individuell auf die Wünsche der Forschenden eingehen.
Karl Kerschbaum (KK): Was mich an meiner Aufgabe als Netzwerkkoordinator besonders fasziniert, ist der dezentrale offene Austausch zwischen den Regionen in Zusammenarbeit mit dem Team im Network Office. Wir haben dazu formale Austauschformate, wie zum Beispiel ein monatliches Onlineformat zu aktuellen Problemen, Netzwerktagungen und ein ausgebautes Intranet, wo sich Informationen leicht finden und tauschen lassen. Auf diese Weise sind alle Büros auf demselben Stand.
RS: Wenn jemand in einem der Büros ein Problem hat, wirft er dieses in die Runde des Netzwerks und erhält in kurzer Zeit Antworten, sei es von Kolleginnen und Kollegen, die das Problem schon einmal zu lösen hatten, sei es von unseren Fachspezialisten im Network Office oder über unser europäisches Beziehungsnetz. Da kommen sehr viel Erfahrung und Fachwissen zusammen, das offen und grosszügig geteilt wird.
Was bieten Sie den Forschenden konkret?
KK: Unser Konzept ist, die Forschenden während des ganzen Projektprozesses zu begleiten – von der ersten Idee über die Suche nach dem passenden EU-Programm, dem Verfassen des Antrags bis zum Grant und zum Schlussbericht. Die Forschenden schreiben ihre Proposals selbst, aber wir sorgen in Kooperation mit den Fachspezialisten in Bern dafür, dass die Anträge die formalen Kriterien korrekt erfüllen.
RS: Bei vielen dieser Ausschreibungen sind die Themen von der EU-Kommission ja genau vorgegeben. Wenn Forschende mit einer Projektidee kommen, besteht die Kunst darin, abzuschätzen, ob der Inhalt auf eines der ausgeschriebenen Themen passt oder sich darauf zuschneiden lässt. Um dies abschätzen zu können, braucht es viel Erfahrung und Hintergrundwissen sowohl über die Abläufe wie über die Intentionen Brüssels. Dazu muss man auch zwischen den Zeilen lesen können. Wir versuchen, wenn immer möglich, bereits die Entstehung einer Ausschreibung in Brüssel zu begleiten. Wenn wir die verschiedenen Versionen kennen, können wir nachvollziehen, wie sich der Inhalt oder die Absicht der Kommission zu einem Thema geändert hat. Wir können den Forschenden dann genau sagen, worauf sie in ihren Anträgen besonders achten müssen. Wir sind so etwas wie Dolmetscher und Kulturvermittler zwischen den Forschenden und der spezifischen Brüsseler Sprache und Kultur.
Das Rahmenprogramm Horizon 2020 geht zu Ende. Welches sind Ihre Erfahrungen?
RS: Der Start war ziemlich holprig. Da der Beginn von Horizon 2020 zusammenfiel mit der Masseneinwanderungsinitiative, hatte die EU-Kommission die Assoziierung der Schweiz ans Rahmenprogramm ausgesetzt. Die Bundesverwaltung fand zwar rasch eine Lösung, sodass die Schweizer Forschenden mitmachen konnten. Aber es entstand eine grosse Unsicherheit bei den Forschenden in der Schweiz und bei ihren ausländischen Partnern.
KK: Die Verunsicherung erfasste eben nicht nur den Standort Schweiz, sondern weitete sich auch auf die internationale Forschungsgemeinschaft aus. Diese fragte sich, ob Forschende am Standort Schweiz weiterhin vollwertige Partner in EU-Projekten sein könnten und Projekte noch leiten dürften.
RS: Nach dem harzigen Start hat die Schweiz dann aber rasch aufgeholt, viele Grants erhalten und eine hohe Erfolgsquote erreicht. Überdies können wir heute dank der Erfahrungen mit Horizon 2020 sehr viel schneller reagieren, falls es zu einer Verzögerung bei der Assoziierung an das nächste Rahmenprogramm kommen sollte.
Welche Bilanz ziehen Sie?
RS: Horizon 2020 hat der Schweiz und den Forschenden viel gebracht. Aber was ebenso wichtig ist und gerne vergessen geht: Von der Mitwirkung der Schweiz und ihrer Forschungsgemeinschaft der Hochschulen und der Privatwirtschaft hat auch Europa profitiert. Viele Schweizer Firmen haben durch ihre Projekte in der EU Arbeitsplätze geschaffen. Forschungsinstitutionen und Forschende in Europa hatten Zugang zum Knowhow der Schweiz. Wir sind nicht die Rosinenpicker, als die man uns gerne sieht. Natürlich sind wir erfolgreich, aber die Schweiz teilt diesen Erfolg und ihr Wissen mit Europa. Leider nimmt die EU diese Leistungen der Schweiz etwas zu wenig wahr.
Was erwarten Sie von Horizon Europe?
KK: Ein sehr viel höheres Budget. Das heisst, es wird mehr Programme geben und der Zugang wird für Forschende komplexer. Die Arbeit wird uns also nicht ausgehen.
RS: Mir fällt auf, dass die neue EU-Kommission das Forschungsrahmenprogramm noch stärker in ihr politisches Programm einbindet und ich weiss noch nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Entwicklung ist. Gut ist sicher, dass dies der Forschung mehr Gewicht verleiht und dass Horizon Europe stark auf akute Probleme unserer Gesellschaft fokussiert, Stichwort «Green Deal». Gleichzeitig mache ich mir Sorgen, dass die Grundlagenforschung und Themen, die nicht auf dem Zeitgeist surfen, zu kurz kommen und Forschung nur noch zweckorientiert gefördert wird. Da wir nicht wissen, woher die nächste Krise kommt, brauchen wir aber einen breiten Teppich von Forschungsthemen, auch solche, die vordergründig nicht zweckgebunden sind.