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Wissen, was ich will; finden, was ich brauche

Wie ein Karriereförderungstool Postdocs hilft, sich über ihre Berufsperspektiven klar zu werden und wie ein Planungstool jungen Forschenden die Organisation ihrer Projekte erleichtert. Ein Gespräch mit Sibylle Hodel und Alexandra Zingg über die zwei neuartigen Onlineinstrumente TDS und REFLEX*.

Warum braucht es ein Karriereplanungsprogramm für Postdocs?

Sibylle Hodel (SH):
Wir erfahren von unseren Forschenden immer wieder, dass in der Postdoc-Phase entscheidende Weichen gestellt werden. Es stellen sich Fragen wie: Strebe ich eine Karriere in der Wissenschaft an oder suche ich eine Tätigkeit ausserhalb der Academia und wenn ja, welche? Kommt dazu, dass Postdocs sich meist in der Lebensphase zwischen 30 und 40 befinden, in welcher wichtige persönliche Entscheide zu Familie und Partnerschaft anstehen. Die Hochschulen bieten viele Karriereplanungsprogramme für Doktorierende, aber für Postdocs gibt es nur wenige.

TDS ist euer neues Online-Karriereplanungstool. Was bezweckt und was bietet es?

Alexandra Zingg (AZ):
TDS ist ein Open Source Assessment-Tool, das allen kostenfrei zur Verfügung steht. Es richtet sich an Postdocs zwischen dem ersten und dritten Jahr nach dem Doktorat. Jeder Postdoc kann das Programm allein oder mit einem Coach durchgehen und sinnvolle Ergebnisse zu seiner Karriereplanung erhalten.

Warum braucht es ein neues Tool, es gibt im Internet ja schon viele?

AZ:
Die meisten der existierenden Tools zeigen auf, welche Fähigkeiten und Skills jemand noch braucht, um sich beruflich weiter zu entwickeln. Wir haben durch qualitative Interviews in der Schweiz, in Norwegen und in Holland aber herausgefunden, dass die Postdocs meist recht gut wissen, was sie können und welche Fähigkeiten sie noch brauchen. Was ihnen fehlt, ist eine Person oder ein Tool, das ihnen hilft, eine Vision zu entwickeln, wo sie in fünf oder zehn Jahren beruflich und persönlich stehen möchten. Deshalb haben wir mit TDS nun ein Tool entwickelt, dass Postdocs hilft, eine Vision ihrer beruflichen Zukunft zu erhalten.

Wie findet man denn heute heraus, wo man in fünf oder zehn Jahren sein will?

AZ:
Indem man mit Hilfe des TDS sorgfältig und systematisch analysiert, was man bisher gemacht hat, in welcher Situation man sich im Moment befindet, was einem Freude macht, womit man Mühe hat und wo man in Zukunft gerne sein möchte. Das Schlüsseltool von TDS ist ein Assessment, wie man es auch aus anderen Programmen kennt. Du bestimmst ein Ziel, das du in fünf oder zehn Jahren erreicht haben möchtest. Dann gehst du von jenem entfernten Zeitpunkt Schritt für Schritt zurück ins Heute. Wenn ich in zehn Jahren beispielsweise Professorin sein möchte, welches ist der unmittelbar letzte Schritt vor diesem Ziel, welches der vorletzte usw. bis zum heutigen Zeitpunkt. Die Idee ist, dass ich dann realisiere, was ich heute tun muss, um in zehn Jahren an diesem Ziel zu sein. Vielleicht stelle ich fest, dass ich jetzt ins Ausland muss oder dass ich die akademische Welt jetzt besser verlasse. Vielleicht sehe ich auch, dass ich mein Ziel möglicherweise nie erreichen kann, weil persönliche oder fachliche Gründe dem entgegenstehen. Also muss ich ein anderes, realistischeres Ziel formulieren oder einen Plan B entwickeln für den Fall, dass ich mein Ziel verfehle.

Und dieses Assessment kann ich mit Hilfe des TDS-Tools allein durchführen?

AZ:
Ja, das TDS ist selbstführend. Aber es ist zu empfehlen, einen Teil des Assessments mit einem Career Coach oder mit einer Begleitperson aus der Familie oder dem Freundeskreis durchzugehen. Es braucht doch einige Überwindung und Selbstdisziplin, sich so ungeschönt mit sich selber zu beschäftigen. Dazu kommt, dass das TDS komplex ist und man einige Zeit braucht, es bis zum Ende durchzuziehen. Aber wir wollten nicht ein weiteres Tool anbieten, das man in 15 Minuten durchklicken kann.

Auch das neue Onlinetool REFLEX unterstützt Forschende auf ihrem Karriereweg. Auf welche Weise?

SH:
REFLEX ist ein Beratungstool für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, das ihnen ihre Karrieregestaltung erleichtern soll und ihnen aufzeigt, wo sie Unterstützung dafür erhalten. Es gibt Antworten auf Fragen nach der geeignetsten Forschungsfinanzierung und den entsprechenden Anlaufstellen dafür. Mit REFLEX lässt sich auch rasch eruieren, welche Kontaktpersonen oder welche Dienstleistungen Forschenden weiterhelfen können. Und REFLEX unterstützt sie auch dabei, praktische und persönliche Probleme zu lösen, die sich aus einem Forschungsaufenthalt in einem anderen Land ergeben. Das Tool ist modular aufgebaut und eignet sich besonders für Workshop-Situationen und für individuelle Beratungsgespräche. Ich kann mit Hilfe von REFLEX als Forscherin oder Forscher allein mit Unterstützung einer Beratungsperson alle für mich relevanten Informationen und Kontakte aus dem modularen System zusammentragen und sofort verwenden.

Wie geht das in der Praxis?

SH:
Eine Forscherin aus dem Ausland, die für ein Forschungsprojekt nach Zürich möchte, kommt zu mir in die Beratung und hat beispielsweise Fragen zum Marie-Curie-Fellowship-Stipendium, für das sie sich bewerben möchte. Aber sie ist sich nicht ganz sicher, ob dieses Programm das passende ist für sie. Das klären wir für sie ab. Sie ist weiter interessiert an Soft Skill-Trainings und sie hat Fragen zum Bildungssystem in der Schweiz, da sie zwei Kinder hat, die während ihres Forschungsaufenthaltes mit ihr in Zürich leben. Und dann sucht sie für ihren Partner noch eine Dual Career-Beratung. Mit Hilfe des REFLEX-Tools kann ich ihr die richtigen Ansprechpersonen vermitteln und Dienstleistungen, die sie in Anspruch nehmen will, individuell für sie zusammenstellen.

Wie ist REFLEX entstanden?

SH:
Wir haben das Tool gemeinsam mit Partnern aus Norwegen, Dänemark, Ungarn und der Slowakei im Rahmen eines kleinen EURAXESS-Projekts selbst entwickelt. Es gibt wohl Forschungsförderungs- und Karrieretools auf dem Markt, aber die kosten sehr viel und sind meist sehr umfangreich. Unser Ziel war, ein flexibles modulares Tool anzubieten, das jede Hochschule in Europa auf ihre Angebote und Bedürfnisse zuschneiden kann. Auch wenn eine Universität nur wenige Services anbietet, kann sie diese im REFLEX-Modul beschreiben und ihren Forschenden zugänglich machen.

Wie habt ihr sichergestellt, dass REFLEX für all die unterschiedlichen Hochschulen in Europa funktioniert?

SH:
Das war eine der grossen Herausforderungen. Wir haben, bevor wir REFLEX bauten, in den beteiligten Ländern Fokusgruppen gebildet und Forschende gefragt, was sie vermissen, welche Informationen ihnen helfen und welche Services sie sich wünschten. Auf Grund dieser Aussagen haben wir dann gemeinsam ein generelles Tool gebaut, das sich aber dank seiner Modularität in allen Ländern verwenden lässt.

Gilt dies auch für das TDS?

AZ:
Das TDS-Tool ist einheitlicher als REFLEX. Das macht aber Sinn, da Postdocs bei der Planung ihrer Karriere mit denselben Fragen konfrontiert sind, unabhängig davon, an welcher Hochschule sie arbeiten.

TDS und REFLEX stehen bereit. Was wünscht ihr euch für eure Tools?

AZ:
Ich hoffe sehr, dass TDS den Postdocs hilft, frühzeitig zu Einsichten und Entscheiden zu kommen, die sich günstig auf ihre Karrierelaufbahn auswirken. Es war für mich als Postdoc damals ganz entscheidend, früh zu realisieren, dass ich den akademischen Weg verlassen muss, um mein Berufsziel zu erreichen. Diese Erkenntnis kommt für viele Postdocs oft zu spät. Danach wird es sehr schwierig, die Karriere noch zu steuern, vor allem wenn man in der Academia bleiben möchte.

SH:
Ich hoffe, dass REFLEX rege genutzt wird und dass es gerade an Universitäten, die nicht so viele Dienstleistungsangebote haben wie wir hier, die Forschenden wirkungsvoll in ihrer Forschungsplanung unterstützt. Und dann wünsche ich mir, auch in Zukunft weiter bei solchen EURAXESS-Projekten mitwirken zu können.

*TDS - Talent Development Suite
REFLEX - Responsive and Flexible Career Development Framework for Researchers
Alexandra Zingg (links)

ist seit vier Jahren Research Manager bei EU GrantsAccess und unterstützt Forschende und ihre internationalen Forschungsprojekte auf allen Ebenen und über alle Karrierestufen hinweg. Sie hat einen Master in Cognitive and Decision Sciences der Universität Basel und erhielt ihren Dr. sc. ETH Zürich im 2012.

Sibylle Hodel

ist stellvertretende Leiterin bei EU GrantsAccess und berät Forschende der Universität und der ETH Zürich sowie der Region in Fragen der Forschungsförderung und der Karriereentwicklung seit über 15 Jahren. Sie ist verantwortlich für das EURAXESS-Dossier bei EU GrantsAccess und ist Mitglied der Network Management Working Group bei der Europäischen Kommission. Sibylle Hodel hat einen Master in Öffentlichkeitssoziologie der Universität Zürich.

Alexandra Zingg und Sibylle Hodel sind regelmässig in EURAXESS-Projekte involviert und wirkten auch bei der Entwicklung der Karriereplanungstools REFLEX (Responsible and Flexible Career Development Framework for Researchers) und TDS (Talent Development Suite) mit.

EURAXESS

ist ein europäisches Netzwerk, dem 40 Staaten angeschlossen sind. Es hat zum Ziel, die Mobilität junger Forschender in Europa zu fördern und sie in ihrer Karriereplanung zu unterstützen. Dazu entwickelt EURAXESS Förderungsprojekte und Tools, die es Forschenden über sein Portal sowie über die nationalen Vertretungen zur Verfügung stellt. EURAXESS wird von der Europäischen Kommission und ihren Mitgliedsländern getragen. Die EURAXESS-Vertretung in der Schweiz ist vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation sowie von swissuniversities, dem Dachverband der Hochschulen, mitfinanziert und fungiert als nationaler Brückenkopf.

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