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Von Käfern, Larven und Pilzen

Wie Forscher und Forscherinnen von Agroscope biologische Bekämpfungsstrategien gegen den invasiven Japankäfer entwickeln. Ein Ortstermin im Piemont zum EU-Projekt IPM Popillia.

Am Morgen des 6. Juli 2022 biegt ein weisser Kastenwagen im Dörfchen Landiona in der Provinz Novara von der Strasse auf einen Feldweg. Nach ein paar Metern hält er an. Ein Mann und eine junge Frau steigen aus und kommen zielstrebig zum kleinen Wäldchen am Rand eines Ackers. Der Mann ist Dr. Giselher Grabenweger, Entomologe bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung des Bundes, und Koordinator des EU-Projekts IPM Popillia. Die junge Frau, Tanja Sostizzo, ist Mitarbeiterin und Doktorandin im Popillia-Team. Die beiden sind am frühen Morgen im Tessin losgefahren, um ihren Feldversuch im Piemont zu inspizieren. «Am besten kommt ihr zur Flugzeit der Japankäfer auf unser Versuchsfeld in Italien, dann können wir euch zeigen, was wir machen», hat uns Giselher Grabenweger vorgeschlagen, als wir ihn im April bei Agroscope in Zürich zur Vorbesprechung trafen. So erwarten wir nun den Insektenforscher und seine Mitarbeiterin an diesem heissen Sommermorgen auf ihrem Versuchsfeld bei Landiona. «Entschuldigt die Verspätung», begrüssen uns die beiden Ankömmlinge schon von weitem und führen uns dann zum ersten von drei niederen Holzgerüsten, die am Rande des Wäldchens stehen. In einer Aussparung einer Plexiglasscheibe hängt eine Kapsel, die Duftstoffe verströmt, um die Japankäfer anzulocken. Die Käfer fliegen gegen die Scheibe und fallen in eine offene Wanne aus Alufolie, in der eine dicke Schicht eines Pilzsubstrats liegt. Sie krabbeln über den Pilzteppich zu den Rändern der Wanne, infizieren sich dabei mit Pilzsporen und fliegen weg. In einigen Tagen werden sie an der Pilzinfektion sterben, aber bis dann sollten sie noch möglichst viele Artgenossen anstecken. 

«Man muss sowohl
gegen Käfer wie Larven
vorgehen, sonst kommt
immer Nachschub.»

Die Strategie, Schädlinge mit bestimmten Pilzarten zu bekämpfen, wird in der Schweiz schon seit langem mit grossem Erfolg gegen den einheimischen Maikäfer angewandt, der mit dem Japankäfer verwandt ist. «Es war eine logische Folge, die Erfahrungen in der Entwicklung und Anwendung dieser Methode, die wir bei Agroscope über viele Jahre gewonnen haben, auch gegen den Japankäfer zu testen», sagt Giselher Grabenweger. Feldversuche wie dieser hier im Piemont und ein weiterer im Tessin sollen nun zeigen, ob diese Bekämpfungsstrategie funktioniert. «Wir haben die Insektenfallen hier Ende Juni installiert. Der Standort zwischen dem Waldrand und einer neuen Heidelbeerpflanzung ist ideal. Während der Flugzeit kommt nun jede Woche jemand aus dem Team vorbei, prüft, ob die Fallen intakt sind und nimmt Proben von Käfern und dem Pilzsubstrat», erklärt der Insektenforscher, während er und seine Mitarbeiterin die erste der drei Fallen inspizieren. «Da sind aber sehr wenig Käfer drin, da muss man wohl das Pilzsubstrat ersetzen. Und auch die Kapsel mit dem Lockstoff scheint ausgetrocknet», kommentiert Giselher Grabenweger, während Tanja Sostizzo beginnt, Käferproben aus den Fallen, von den Brombeersträuchern am Waldrand und den Heidelbeerbüschen auf dem Feld zu sammeln. Im Labor in Zürich werden sie von ihrer Doktorandenkollegin Magdalena Wey untersucht, um zu sehen, ob und wie stark die Käfer mit den Pilzen infiziert sind. Giselher Grabenweger sieht sich inzwischen die beiden anderen Fallen an. Alles gut, sie funktionieren einwandfrei. 

Die Käfer

Nach einer guten Dreiviertelstunde ist die Inspektion abgeschlossen. Wir steigen in unser Auto und folgen dem weissen Kastenwagen auf der Landstrasse Richtung Nordosten. Nach rund zehn Kilometern biegt er auf einen staubigen Feldweg und stoppt hinter einem Bauernhof am Rand eines grossen Feldes, das mit Heidelbeersträuchern bepflanzt ist. Viele Bauern in dieser Gegend produzieren neben Reis, Mais oder Soja auch Beeren, da diese ein gutes Einkommen bringen. Das Feld gehöre einem Bauern, der biologischen Landbau betreibe und der ihnen den Zugang zu seinen Pflanzungen ermögliche, erklärt uns Giselher Grabenweger, als wir mit ihm übers Heidelbeerfeld gehen. Auf den Sträuchern sitzen Tausende von Käfern. Sie kleben wie Trauben an den Ästen, fressen Blätter und Beeren, kopulieren und schwärmen aus oder fallen zu Boden, wenn wir die Äste schütteln. Die Luft über dem Feld scheint voller Käfer. «Der Bauer hat zwei Wochen, nachdem der Käferflug begonnen hat, die Heidelbeerernte eingestellt. Der Käferbefall war zu gross; es lohnt sich für ihn nicht mehr, die wenigen noch intakten reifen Beeren zu pflücken», erläutert uns der Insektenforscher. Doktorandin Tanja Sostizzo hat die grossen Plastikbehälter und gekappte Petflaschen aus dem Kastenwagen ausgeladen und beginnt, Käfer zu sammeln. Die Heidelbeerpflanzung hier dient den Forschenden als eine Art Kontrollfeld und ergänzt ihre Feldversuche. Bei einem Teil der gesammelten Käfer untersuchen die Forscherinnen und Forscher im Labor in Zürich, wie stark sich die Pilze in der Population etabliert haben. Einen zweiten Teil infizieren sie mit Pilzen und beobachten deren Wirkung. All dies geschieht unter strengen Quarantänebedingungen. 

Die Larven

Die Versuche, die Schädlinge mit Pilzen zu bekämpfen, beschränken sich nicht nur auf die Käfer. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben auch die Larven im Boden im Visier. Seit 2020 führen Giselher Grabenweger und sein Team auf drei Feldern im Piemont und einem im Tessin Versuche mit Pilzen durch, welche die Engerlinge unter der Erde angreifen und sie zerfressen sollen. Das Team setzt dazu einheimische Pilzstämme aus der Schweiz und dem Piemont ein. Nach den Beobachtungen über einen Lebenszyklus des Japankäfers liegen erste Resultate vor, die Giselher Grabenweger so zusammenfasst: «Wir können sagen, dass wir mit den Pilzversuchen, die wir mit den Larven gemacht haben, eigentlich wenig Erfolg hatten. Aus irgendeinem Grund sind die Engerlinge sehr resistent gegen die Pilze, die wir verwendet haben, auch bei einer hohen Anzahl von Sporen. Ganz im Unterschied zu den Käfern. Die Käfer sind sehr anfällig und sowohl die Labor- als auch Halbfreilandversuche zeigen, dass sich die Käfer sehr gut mit den Pilzen dezimieren lassen.» Diese Erkenntnis möchte Giselher Grabenweger mit den Feldversuchen verifizieren, die er und sein Team in diesem Jahr im Piemont und im Tessin durchführen. 

Doch die Bekämpfung der Käfer allein werde nicht reichen, erläutert der Insektenforscher, während uns ständig Japankäfer umschwärmen. «Das Problem ist: Wenn man eine wirklich signifikante Reduktion der Population erreichen will, muss man sowohl gegen Käfer wie gegen Larven vorgehen. Das heisst, man muss auch gegen die Engerlinge etwas finden, das sie dezimiert, sonst kommt immer Nachschub. Und derzeit sieht es so aus, dass eher Nematoden als Pilze wirksam gegen die Engerlinge sein könnten.» Gleich zu Beginn des Projekts einigten sich die Insektenspezialisten im IPM-Popillia-Konsortium auf eine Arbeitsteilung. Während das Agroscope-Team auf die Bekämpfung der Larven und Käfer mit Pilzen fokussiert, konzentrieren sich die italienischen Kollegen vom staatlichen landwirtschaftlichen Forschungsinstitut CREA auf Versuche mit Nematoden (Fadenwürmer). Diese scheinen sich nun als vielversprechend zu erweisen. «Das ist der grosse Vorteil solcher EU-Projekte. Man kann mit vielen kompetenten Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, sich ergänzen und so für den einzelnen viel Arbeit sparen», meint Giselher Grabenweger. 

Das Wechselspiel im Boden

Die Feld- und Laborversuche, die Giselher Grabenweger und sein Team durchführen, sind eines von zwei «Arbeitspaketen», für die Agroscope innerhalb des IPM-Popillia-Projekts verantwortlich zeichnet. Es hat zum Ziel, möglichst rasch eine Toolbox wirkungsvoller, integrativer Bekämpfungsmassnahmen gegen den Japankäfer bereitzustellen und so seine Verbreitung in weitere Gebiete Europas möglichst zu verhindern. 

«In den Böden gibt es
Regelmechanismen, die wir
noch nicht kennen.»

Das zweite «Arbeitspaket», für das der Molekularbiologe Dr. Jürg Enkerli mit seinem Team bei Agroscope zuständig ist, beschäftigt sich mit dem komplexen Wechselspiel zwischen den Mikroorganismen, den entomopathogenen Pilzen, die gegen die Engerlinge eingesetzt werden, und den Larven sowie den Bedingungen in den verschiedenen Böden und Bodentypen. Für die Forschenden ist es nach wie vor ein Rätsel, warum sich die Japankäfer auf bestimmten Böden explosionsartig vermehren, sich aber auf Parzellen, die in der Nähe liegen, kaum entwickeln können. «Offenbar gibt es in den Böden Regelmechanismen, die dies beeinflussen und die wir noch nicht kennen. Denen ist mein Kollege Jürg Enkerli zusammen mit der Doktorandin Noëmi Küng auf der Spur», erklärt Giselher Grabenweger und fügt lachend hinzu: «Ich bin die Feuerwehr und er arbeitet am Brandschutz.» Tatsächlich bewegt sich Jürg Enkerli mit seinem «Arbeitspaket» zwischen angewandter Forschung und Grundlagenforschung. Die Erkenntnisse, die er im Rahmen des IPM-Popillia-Projektes gewinnt, könnten weit über die Bekämpfung der Japankäfer hinaus von Bedeutung sein.   

Inzwischen hat am Feldrand ein Wagen angehalten und ein Mann in rotem T-Shirt steigt aus. Es ist Giovanni Bosio vom phytosanitären Dienst der Region Piemont. Er brauche auch noch ein paar Käfer, sagt er lachend, als er uns begrüsst. Er und Giselher Grabenweger kennen sich gut, denn der phytosanitäre Dienst ist ein wichtiger Partner des IPM-Popillia-Konsortiums im Piemont. Er beobachtet die aktuelle Entwicklung der Käferplage in der Region sehr genau und vermittelt den Forschenden aus Zürich die geeigneten Versuchsfelder und die Kontakte zu den Bauern. 

Inzwischen ist es Mittag und die Sonne brennt unerbittlich auf die Reis- und Heidelbeerfelder. Tanja Sostizzo leert die letzte gekappte Petflasche gesammelter Japankäfer in den grossen Sammelbehälter, verstaut die rund 20 Liter krabbelnde Käfermasse gut gesichert in der Kühlbox und schliesst die Hecktür. Giselher Grabenweger startet den Motor. Der weisse Kastenwagen rollt über den staubigen Feldweg zur Hauptstrasse Richtung Tessin. Es gibt dort heute noch viel zu tun.

Interview mit Giselher Grabenweger
Giselher Grabenweger

Giselher Grabenweger studierte Biologie an der Universität Wien, schloss 1998 mit dem Master ab und doktorierte 2003 in Entomologie. Daneben arbeitete er als Forschungsassistent an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien, wo er zahlreiche Versuche zur biologischen Bekämpfung von Schädlingen durchführte. Nach zwei Jahren an der heutigen Berliner Hochschule für Technik BHT in Berlin trat er 2006 die Stelle eines Landwirtschaftsentomologen bei der AGES, der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH in Wien, an. 2012 wechselte er an die Schweizer Bundesforschungsanstalt Agroscope in Zürich, wo er seither als wissenschaftlicher Mitarbeiter Entomologie in der Forschungsgruppe «Extension Ackerbau» wirkt. Giselher Grabenweger ist beruflich und privat ein passionierter Insektenforscher und fasziniert von den Möglichkeiten integrierter biologischer Schädlingsbekämpfung. «Wenn man lange genug nachbohrt, findet man eigentlich gegen jeden Schädling einen natürlichen Gegenspieler», lautet seine Devise.

Horizon-2020-Projekt

IPM Popillia: Integrated Pest Management of the invasive Japanese Beetle, Popillia japonica 

  • Projektart: Kollaboratives Projekt mit 13 Partnern koordiniert von Agroscope Reckenholz Zürich
  • Laufzeit: 1. September 2020 – 31. Dezember 2024 (51 Monate)
  • Beitrag für das Konsortium: 5’489’350 €

www.popillia.eu

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Der Japankäfer Popillia Japonica

stammt aus Japan und ist dort seit langem weit verbreitet. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er in die USA verschleppt, wo er, im Unterschied zu Japan, massive Schäden anrichtete. In den 1970-Jahren trat der Käfer erstmals auf den Azoren auf, 2014 wurde er in der Lombardei entlang dem Fluss Ticino und 2017 in der Schweiz im Südtessin nachgewiesen. In den folgenden Jahren verbreitete er sich zunehmend in der Lombardei und im Piemont, wo er inzwischen beträchtliche Schäden vor allem im Wein- und Beerenanbau anrichtet. In der EU und der Schweiz gilt der Japankäfer als Quarantäneorganismus, der zu bekämpfen und dessen Verbreitung in weitere Regionen Europas zu verhindern ist. 

Der Lebenszyklus des Japankäfers dauert ein Jahr. Die Larven, sogenannte Engerlinge, überwintern ca. 20 cm tief im Boden. Wenn sich im Frühling die Erde erwärmt, steigen sie im Boden auf 2,5 bis 5 cm auf und fressen die Wurzeln der Gräser. Nach vier bis sechs Wochen verpuppen sich die Larven und zwischen Mai und Juli schlüpfen die Käfer. Deren Flug- und Paarungszeit erstreckt sich über rund zwei Monate, da nicht alle Käfer gleichzeitig schlüpfen. In dieser Phase können die Insekten ganze Wein- und Obstkulturen nahezu kahlfressen. Während ihrer Lebenszeit von vier bis sechs Wochen legen die Weibchen bis zu 60 Eier, bevorzugt in feuchte Weideböden. Nach zehn bis vierzehn Tagen schlüpfen die jungen Larven und ernähren sich von Wurzeln und organischem Material im oberen Teil des Bodens. Im Spätherbst, wenn sie das dritte Entwicklungsstadium erreicht haben, wandern die Engerlinge tiefer in den Boden, um zu überwintern.