TOP

«Die Drohne erweitert dem Bauern den Blick über sein Feld»

Intelligente Geräte sollen die Landwirtschaft effizienter und nachhaltiger machen. Das EU-Projekt «Flourish», koordiniert von der ETH Zürich, entwickelte ein Arbeitsteam bestehend aus Drohne und Agrarroboter zur Bekämpfung von Unkraut im Zuckerrübenfeld. 

Wenn Roboteringenieure und Agronomen zusammenarbeiten, dann entsteht «Smart Agriculture», auch «Digital Farming», «Precision Farming» oder «Agriculture 4.0» – im deutschsprachigen Raum «Landwirtschaft 4.0» genannt. An der ETH Zürich hat sich eine Gruppe aus Agronomen und Robotikern für das EU-Projekt mit dem vieldeutigen Namen «Flourish» zusammengefunden. «Flourish» bezieht sich einerseits auf das «Blühen», «Wachsen», «Gedeihen» von Pflanzen, das Wort meint aber auch im ökonomischen Sinne «Florieren». Das Forschungsprojekt strebt beides an: Es soll dazu führen, dass die industrielle Landwirtschaft ökologischer wird, ohne dass der Ertrag darunter leidet. Denn die Landwirtschaft hat eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, dafür aber nur eine beschränkte Menge Ackerland zur Verfügung. «Wir sind gezwungen, neue Methoden zu entwickeln, die beide Ziele vereinen, nämlich mehr Lebensmittel zu erzeugen und gleichzeitig der Umwelt Sorge zu tragen», sagt Agronom Frank Liebisch. Die Projektgruppe «Flourish» sieht die neue Methode in der Verbindung zwischen Landwirtschaft und Informationstechnologien. 

Nachhaltigere Landwirtschaft dank IT?

Die Projektgruppe wird von der ETH Zürich koordiniert und besteht aus Wissenschaftlern von Universitäten in Deutschland, Frankreich und Italien sowie dem Technikhersteller Robert Bosch GmbH und einer Behörde eines italienischen regionalen Landwirtschaftsministeriums. Sie tüftelt an flexiblen Roboterlösungen, die den Landwirtinnen und Landwirten helfen sollen, ihre Felder besser zu überwachen und entsprechend zu handeln. Konkret geht es um die Entwicklung von Drohnen, die aus Flughöhen zwischen 10 und 100 Metern die Anbaufläche des Landwirts überfliegen und dabei einerseits Daten über das Wachstum, den Bedeckungsgrad, die Biomasse, den Chlorophyll-Gehalt und anderes der angesäten Kulturpflanze sammeln. Mit diesen Daten, so die Idee, wäre ein Landwirt mit grossen Feldern besser darüber informiert, wie sich seine Pflanzen entwickeln und wo es zum Beispiel mehr Wasser oder wo es welche Düngung braucht. Zusätzlich soll die Drohne auch zwischen Nutzpflanze und Unkraut unterscheiden können. 

«Zuerst mussten wir
eine gemeinsame
Sprache finden.»
Frank Liebisch

Die Daten über den Unkrautbefall schickt das Flugobjekt aber direkt dem Feldarbeiter: dem Agrarroboter, der sich sogleich und ohne zu murren auf den Weg macht, das Unkraut entweder mechanisch oder mit einem gezielten Spritzer Herbizid zu zerstören. Das würde den Einsatz von Pestiziden verringern, denn bisher werden in der industriellen Landwirtschaft Unkrautvernichtungsmittel über das ganze Feld und damit auch über künftige Lebensmittel versprüht. 

Wenn IT-Spezialisten und Agronomen zusammenarbeiten, dann müssen sie bereit sein, sich auf fremde Gebiete einzulassen, bereit sein, voneinander zu lernen. «Zuerst mussten wir eine gemeinsame Sprache finden», sagt Frank Liebisch. Er und die drei Nachwuchswissenschaftler, die an dem Flourish-Projekt beteiligt sind, blicken sich an und lachen. Man spürt, dass die drei Robotiker Raghav Khanna (Doktorand), In Kyu Sa (Postdoktorand) und Marija Popovic (Doktorandin) vom Autonomous Systems Lab der ETH Zürich von Frank Liebisch begeistert sind, dem ETH-Agronomen, der seine Karriere mit einer Gartenbaulehre begann. Frank Liebisch wiederum ist fasziniert von dem Können der drei Experten, welche die Drohne dazu brachten, dass sie unter anderem Zuckerrüben von Unkraut zu unterscheiden vermag. 

«Die höchste Hürde
war die Natur.»
In Kyu Sa

Liebisch ist dann auch nachsichtig, wenn Marija Popovic vom «Grünzeug» spricht, das auf den Feldern wächst. Dafür erklärt Marija Popovic dem Robotik-Laien mit grosser Geduld den Algorithmus, nach dessen Anweisungen die Drohne Daten sammelt und mit dem Feldroboter interagiert. 

Die Natur war die grösste Herausforderung

Dass eine Drohne einen Feldroboter befehligen kann, ist ein Novum. Den Algorithmus dafür hat die 25-jährige Doktorandin aus Serbien entwickelt. Ihre Herausforderung war es, die Drohne dazu zu bringen, dass sie ganz alleine über dem gewünschten Zuckerrübenfeld fliegt um wertvolle Daten zu sammeln, welche sie dann dem Agrarroboter übermittelt, damit er seinerseits seinen Auftrag erfüllen kann. 

«Ich tüftle gern
an Technologien,
die positive ökologische und
soziale Auswirkungen haben.»
Raghav Khanna

Dafür hat sie eng mit ihren Kollegen Raghav Khanna und In Kyu Sa zusammengearbeitet, Spezialisten für Navigation, Kartierung und Programmierung von Robotern. «Die höchste Hürde war die Natur», sagt der 37-jährige Koreaner In Kyu Sa, der in Australien auch schon sogenannte Harvey Roboter begutachtet hat. «Im Labor gibt es keinen Wind, der die Drohne zu Fall bringt, keine Temperaturschwankungen, die ihr zu schaffen machen, keinen Wechsel zwischen Sonne und Schatten, welche das Kameraauge irritieren. Die Natur war für uns Technologen die grösste Herausforderung und Chance.» Die Feldversuche fanden auf dem landwirtschaftlichen Ausbildungs- und Versuchsbetrieb der ETH Zürich in Eschikon bei Lindau statt. Hier liessen die vier Forschenden ihre Drohne immer wieder über das Zuckerrübenfeld fliegen, hier testeten sie die Kommunikation mit dem Feldroboter, hier gab es auch witterungsbedingte Rückschläge. Aufgemuntert habe sie aber immer das Mittagessen im Restaurant Strickhof, das frisch aus den landwirtschaftlichen Erzeugnissen des Betriebs zubereitet wird, schwärmt Raghav Khanna. «Esse ich in einer Kantine, habe ich um 17 Uhr schon wieder Hunger, ass ich hier, brauchte ich kein Abendessen mehr. Diese Mahlzeit nährte mich für den ganzen Tag.»  

Pestizid- und Düngereinsatz als Auslöser

Der 29-jährige Doktorand aus Indien war es auch, der das Projekt vor rund fünf Jahren in Gang brachte. Er las in einem Artikel über die Belastung des Pestizid- und Düngemitteleinsatzes der industriellen Landwirtschaft für die menschliche Gesundheit, die Insekten und die Böden. «Das hat mich aufgewühlt. Ich dachte, dass ich als Wissenschaftler etwas dagegen tun muss», erzählt er. Raghav Khanna hatte schon ein paar Jahre für den Privatgebrauch eine Drohne und überlegte sich, ob eine Drohnenkamera helfen könnte, Pestizide und Dünger nur dort einzusetzen, wo es diese Mittel auch tatsächlich braucht. Er schaute im ETH-Verzeichnis nach, wer sich mit Agronomie befasst, rief Frank Liebisch an und ein paar Tage später liess er seine kleine Drohne, an der lediglich eine Smartphone-Kamera befestigt war, über ein Feld an der ETH Zürich fliegen. «Ich war natürlich naiv, ich wusste nicht, dass Pflanzen so unterschiedlich sind und dass eine fotografierte grüne Fläche nicht viel über den Zustand eines Feldes oder den Unkrautbefall sagt», gibt Khanna zu. Aber es war ein Anfang, Frank Liebisch fand die Idee des jungen ETH-Studenten «cool». Rund anderthalb Jahre später entstand aus dieser Eingebung das EU-Projekt «Flourish». 

Das «gute Gefühl», Probleme lösen zu helfen 

Das Projekt ist nach dreieinhalb Jahren zu Ende. Drohne und Agrarroboter kennen sich nun im Zuckerrübenfeld aus. Künftig soll die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Geräten auf andere Nutzpflanzen erweitert werden. «Wir haben bewusst eine Technologie entwickelt, die für vieles anwendbar ist», sagt Frank Liebisch. Noch ist die Technologie nicht bereit für den Markt, aber das war auch nicht das Ziel des Projekts. «Wir machten Grundlagenforschung, jetzt braucht es Nachfolgeprojekte und weitere Feldforschungen.» Den Algorithmus, die Bauanleitung für die Flourish-Drohne, stellt die Projektgruppe kostenlos auf ihrer Website der Öffentlichkeit zur Verfügung. Verschiedene Agrochemiekonzerne haben bereits Interesse signalisiert. Überhaupt stiess das Projekt auf grosse Resonanz, Medien in ganz Europa berichteten über dieses konkrete Beispiel einer IT-Landwirtschaft. Laut Frank Liebisch sind auch immer mehr Bauern interessiert am Einsatz von Informationstechnologien. 

Die drei jungen Experten hatten Freude, anwendungsorientiert forschen zu können. «Es ist ein gutes Gefühl», sagt Marija Popovic, «dass ich mithelfen konnte, technische Lösungen für konkrete Probleme zu finden.» Für sie war es der erste Auftrag als Wissenschaftlerin, das Interesse an «ihrem» Algorithmus kann sie kaum fassen. «Dass wir so erfolgreich waren, fühlt sich noch ganz unwirklich an.» 

«Dass wir so erfolgreich
waren, fühlt sich noch
ganz unwirklich an.»
Marija Popovic

Auch die Zusammenarbeit mit den Partnern, die Rückschläge wegen der launischen Natur, die Präsentationen vor der ganzen Gruppe, der Austausch mit anderen Roboteringenieuren und insbesondere mit den Agronomen sei für ihre Entwicklung als Wissenschaftlerin von enormem Wert gewesen. «Ich habe sehr viel über die Landwirtschaft gelernt», sagt sie und blickt zu Frank Liebisch. «Ich weiss jetzt, dass eine Pflanze verschiedene Grüntöne haben kann und dass das Grün etwas über ihren Gesundheitszustand aussagt.» Auch Raghav Khanna, der sich Sorgen um den Zustand unseres Planeten macht, freut sich, dass seine Anfangsidee zu einem Projekt führte, das sich mit wesentlichen Problemen beschäftigt. «Ich tüftle gern an Technologien, die positive ökologische und soziale Auswirkungen haben. Das motiviert mich enorm.» 

Viele Fragen und Probleme der IT-Landwirtschaft sind noch offen, wie zum Beispiel die Frage, wem die gesammelten Daten gehören: dem Bauern oder der Industrie, welche die neuen Geräte verkaufen oder vermieten wird? Oder das Problem der zunehmenden Abhängigkeit der Landwirte von Technik- und Agrochemiekonzernen. Ein Thema ist auch, dass eine Drohne und ein Agrarroboter nicht so lange «leben» wie ein Traktor. Eine Drohne muss nach rund drei Jahren ersetzt werden. Für Frank Liebisch sind dies alles keine Probleme, die nicht gelöst werden könnten. «Ich glaube, dass uns die Technik bei der Lösung der meisten und grössten Probleme unterstützen kann.» So eröffne die digital-technisierte Landwirtschaft neue Möglichkeiten: «Ein Grossbauer konnte früher nicht das ganze Feld überblicken, jetzt erweitert ihm die Drohne den Blick.»

Interview mit
Raghav Khanna (englisch)
Interview mit
Frank Liebisch
Flourish

Das ICT-Projekt «Flourish» mit einem 4,7-Millionen-Euro-Budget, das die ETH Zürich koordinierte, startete 2014 und dauerte dreieinhalb Jahre. Daran beteiligt waren neben dem Crop Science Lab (Prof. Achim Walter) und dem Autonomous Systems Lab (Prof. Roland Siegwart) der ETH Zürich auch die Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität Bonn, die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und die Robert Bosch GmbH in Deutschland, das Centre National de la Recherche Scientifique in Frankreich, die La Sapienza Università di Roma und die lokale «Agro-food-Agentur» ASSAM in Italien.

In Kyu Sa
In Kyu Sa
Raghav Khanna
Raghav Khanna
Marija Popovic
Marija Popovic
Frank Liebisch
Frank Liebisch
WEITERE STORIES DIESER AUSGABE