
Frühgeburten früh erkennen
Wie die Biomechanikerin Sabrina Badir zur Unternehmerin wurde und ein Messgerät auf den Markt brachte, das zum Standard in der Frühgeburtsdiagnostik werden könnte. Ein Gespräch mit der Gründerin und CEO des Start-up Pregnolia.
«Dass ich Unternehmerin wurde, hat sich einfach ergeben», sagt Sabrina Badir. Sie sitzt uns im Sitzungsraum ihrer Firma im Industriegebiet der Zürcher Vorortsgemeinde Schlieren gegenüber. Durch die grossen Fenster sieht man auf Bahngleise. Alle paar Minuten donnert ein Zug vorüber. Sabrina Badir ist eine einnehmende Persönlichkeit. Sie wirkt selbstbewusst, direkt und empathisch und sie hat klare Vorstellungen, wie sie ihre Vorhaben durchsetzt. «Als ich meine Doktorarbeit abschloss, stand ich vor der Frage, wie es mit meinem Forschungsprojekt weitergehen soll. In jener Zeit besuchte ich gerade einen Projektmanagementkurs und die Kursleiterin meinte: `Das ist ja sehr interessant, was Sie da gemacht haben. Warum gründen Sie nicht eine Firma?` Der Funke hat sofort gezündet. Aber ich hatte keine Ahnung, wie man ein Unternehmen aufbaut. Ich bewarb mich dann um den Pioneer Fellowship der ETH Zürich, bei dem man lernt, wie man Forschungsresultate in ein Produkt überführt. Ich wurde angenommen und so ist Pregnolia entstanden.» Sechs Jahre später stehen die ersten Pregnolia-Messgeräte in Arztpraxen und Kliniken und das Start-up gilt als vielversprechender Player im wachsenden FemTech-Markt*. Doch der Weg dahin hat Sabrina Badir und ihrem Team einiges abgefordert.
* FemTech (Female Health Technology) ist eine auf Frauen ausgerichtete Technologie, die sich zumeist mit Frauengesundheit befasst.
Wie aus einer Doktorarbeit ein Unternehmen wird
Im Rahmen ihres Doktorat-Projekts hatte die ETH-Biomechanikerin den Prototypen eines Messgeräts entwickelt, mit dem sich bei schwangeren Frauen die Steifigkeit des Zervixgewebes exakt messen und damit das Risiko einer Frühgeburt abschätzen lässt. Sie führte mit dem Gerät eine Machbarkeitsstudie durch, an der 100 Frauen mitwirkten. Die Resultate waren vielversprechend. Sowohl die Methode wie das Gerät funktionierten. Nun stand sie vor der Herausforderung, den Prototypen zu einem praxistauglichen, bezahlbaren Messinstrument weiterzuentwickeln. Bei einem Start-up Speed Dating an der ETH Zürich traf sie den Bioingenieur Francisco Delgado, der am MIT in Boston doktoriert hatte. Sie suchte jemanden mit seinem Profil. Er war fasziniert von Sabrina Badirs Gerät und ihrer Geschäftsidee. Die beiden wurden Geschäftspartner und gründeten das Start-up Pregnolia AG. Francisco Delgado wurde CTO und Leiter für Forschung und Entwicklung und er machte sich daran, den unhandlichen Prototypen in ein technisch hochstehendes, markttaugliches medizinisches Messgerät zu verwandeln. Sabrina Badir übernahm die Rolle des CEO, konzentrierte sich auf den Aufbau des Unternehmens und wurde zum Gesicht des Start-up. Sie überzeugte Investoren, akquirierte Geld für die Entwicklung des Geräts, knüpfte ein Netzwerk von Ärzten, Kliniken, Hebammen, Krankenkassen und weiteren Stakeholdern aus dem Gesundheitsbereich, initiierte klinische Studien und rekrutierte qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «Wir gingen durch eine sehr lange Aufbauphase, in der wir das Messgerät zu einem Medizinalprodukt entwickelten und uns durch den Dschungel der regulatorischen Prozesse kämpften. Es dauerte vier Jahre, bis wir schliesslich die CE-Zertifizierung und die Zulassung für den Schweizer Markt und damit auch für die EU erhielten. Das war dann der Startschuss, mit dem Pregnoliagerät auf den Markt zu gehen», schildert Sabrina Badir die Pregnolia-Gründungsgeschichte.
Bereits vor der Zertifizierung hatte sie mit Bruno Candrian einen erfahrenen Marketing- und Verkaufsleiter ins Team geholt, der sich nun professionell um Promotion und Vermarktung kümmerte. Im ersten Jahr konzentrierte sich Pregnolia auf den Schweizer Markt, wo das Gerät dank Sabrina Badirs guter Vernetzung in der gynäkologischen Szene bekannt war. Ein Jahr später expandierte das Start-up nach Deutschland. Um auf Nummer sicher zu gehen, suchte Sabrina Badir beim Markteintritt in Deutschland auch gleich eine Zulassungsstelle für die EU. «Wir konnten schliesslich das Prüfungsunternehmen TÜV-Süd überzeugen, mit uns zusammenzuarbeiten. Seither zertifiziert es unser Gerät für die Europäische Union», erzählt sie. Dieser Entscheid erwies sich als vorausschauend, denn als im Mai 2021 der Schweizer Bundesrat die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU abbrach, entzog die Europäische Kommission den Schweizer Herstellern die automatische Zulassung ihrer Medizinalprodukte für den EU-Markt.
Auch ein gutes Produkt verkauft sich nicht von selbst
Als Pregnolia 2020 die Marktzulassung erhielt, begann das Unternehmen sogleich mit einer systematischen Marktbearbeitung. Das Gerät muss ja über den kleinen Kreis von ersten Nutzern und Unterstützern hinaus in der gesamten Fachwelt wahrgenommen werden, bevor es sich verkaufen lässt. Dazu setzen Sabrina Badir und ihr Marketingleiter auf direkte persönliche Kontakte zu Arztpraxen und Kliniken, Krankenkassen und Fachpublikationen. Gynäkologinnen und Gynäkologen, die das Gerät in ihrer Praxis einsetzen, wirken als Botschafter und Multiplikatoren. Um die Marktbearbeitung zu intensivieren, stellte Pregnolia zwei neue Mitarbeiterinnen in Deutschland ein. Weitere sollen folgen. Darüber hinaus nutzt das Marketingteam Fachveranstaltungen wie den Kongress der renommierten Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, der Mitte Oktober in München stattfand und an dem rund 2000 Ärztinnen und Ärzte teilnahmen. Pregnolia war mit ihrem Marketingleiter und den beiden deutschen Mitarbeiterinnen präsent. Das Team präsentierte das Gerät an einem Stand und knüpfte viele neue Kontakte zu Schlüsselpersonen der deutschen Gynäkologieszene. Dabei zeigte sich, dass klinische Studien eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, Ärztinnen und Ärzte vom Nutzen des Pregnoliageräts zu überzeugen. «Die Steifigkeit der Zervix ist ja kein neuer Parameter in der Geburtsmedizin. Wir untersuchen sie mit unserem Gerät einfach quantitativ und nicht mehr durch Abtasten mit dem Finger, wie dies bisher geschieht», erläutert uns Sabrina Badir. «Aber es fehlte an klinischen Daten, die zeigen, ab welchem Steifigkeitswert ein erhöhtes Risiko besteht und wie diese Erkenntnis in die Diagnose einer Frühgeburt einfliessen kann. Daher ist es für uns so wichtig, klinische Studien durchzuführen, die beweisen, dass wir mit unserem Messgerät das Risiko einer Frühgeburt gut voraussagen können. Wir haben ja am Kongress in München gesehen, wie gross die Wirkung ist, wenn robuste klinische Daten vorliegen.»
Klinische Daten als Schlüssel zum Markt
Die Unternehmerin hat daher in den vergangenen Jahren viel Zeit und Energie darauf verwendet, Forschende und Spitäler für unabhängige klinische Studien mit dem Pregnolia-Messgerät zu gewinnen. Und mit Dr. Laura Bernardi hat sie eine Spezialistin ins Team geholt, welche die Datenerhebungen begleitet und auswertet. Zurzeit laufen in Europa und den USA zehn klinische Studien. Die ersten Resultate liegen bereits vor und weitere werden laufend folgen.
Diese grossen Mengen an Studiendaten, die nun kontinuierlich bei Pregnolia einfliessen, sind aber weit mehr als nur ein Marketinginstrument. Sie bilden den «Rohstoff», mit dem sich das Pregnoliagerät zu einem digitalen Mess- und Prognosesystem rund um das Thema Frühgeburten ausbauen lässt. Sabrina Badir hat dazu klare Vorstellungen: «Wir sind daran, das Gerät um eine App zu erweitern, sodass wir in Zukunft mit den vielen Daten, die wir erheben, eine personalisierte Risikoabschätzung für jede schwangere Frau machen können. Zusätzlich wollen wir weitere Anwendungen entwickeln, die Ärztinnen und Ärzten in den verschiedenen Phasen der Schwangerschaft nützlich sind. So haben uns Gynäkologen gefragt, ob man das Gerät auch am Ende der Schwangerschaft verwenden könnte, etwa um herauszufinden, warum sich der Gebärmutterhals nicht öffnet, wie lange es noch dauert, bis das Baby zur Welt kommt und ob die Geburt eingeleitet werden soll. Nicht zuletzt führt eine Geburt, die sich hinzieht, auch zu hohen Kosten, wenn der Gebärsaal mit dem gesamten Personal über lange Zeit blockiert ist.»
Nichts geht ohne Geld
Bereits vor drei Jahren, als erste Resultate aus der Anwendung des Pregnolia-Messgerätes vorlagen, begannen Francisco Delgado und sein Team mit der Weiterentwicklung. Sie optimierten die Sonde, womit sich deren Herstellungskosten um 60% reduzieren und die Lieferzeiten verkürzen liessen. Sie führten eine neue Verpackung ein, die sich leichter öffnen lässt und optisch hochwertiger wirkt. Finanziert hat Pregnolia diesen Entwicklungsschritt mit einem Beitrag aus dem Horizon 2020-Programm der EU. Vor einem Jahr erhielt das Unternehmen dann nochmals eine finanzielle Unterstützung der EU, um eine Datenbank aufzubauen, in der die Resultate der klinischen Studien erfasst und für die Verwendung in einer künftigen App aufbereitet werden.
Und jetzt steht Pregnolia vor dem nächsten Entwicklungsschritt: In den kommenden zwei Jahren soll die Kontrolleinheit verbessert und deren Produktionskosten gesenkt werden. Parallel dazu wird jene App entwickelt, mit der sich auf der Basis von Big Data neue Dienstleistungen rund um das Thema Frühgeburt generieren lassen. Die grossen Datenmengen dazu liefern die klinischen Studien und die Messgeräte, die in den Arztpraxen verwendet werden. Die finanziellen Mittel für diese technische Weiterentwicklung hofft Sabrina Badir vom Swiss Accelerator-Programm des Bundes zu erhalten.
Zugleich steht Pregnolia vor einer neuen Finanzierungsrunde. Das Start-up braucht nochmals frisches Geld, um die Vermarktung des Messgeräts voranzutreiben, Personal einzustellen und in weitere Länder zu expandieren. Dazu muss Sabrina Badir die Investoren überzeugen, dass sich das Pregnoliasystem auf dem Markt durchsetzt und sich das Unternehmen irgendwann gewinnbringend verkaufen lässt. «Unsere Investoren sind sowohl institutionelle Anleger als auch Privatpersonen, bei denen neben dem Interesse am Business Case auch eine emotionale Komponente mitschwingt. Das Thema Frühgeburten lässt ja niemanden kalt. Aber irgendwann möchten unsere Geldgeber ja schon auch wissen, wie es ausgeht. Ich habe mich in letzter Zeit daher sehr intensiv mit dem Thema «Merger and Acquisition» beschäftigt und mit vielen Firmengründern, die ihre Unternehmen verkauft haben, gesprochen, um zu verstehen, wie solche Prozesse ablaufen. Das ist ein zentraler Punkt, um den Investoren bei der anstehenden Finanzierungsrunde zu zeigen, wie wir die Firma verkaufen könnten.»
Frauengesundheit ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema geworden und ein neuer Markt ist entstanden. Inzwischen gibt es viele Firmen, die auf Frauengesundheit fokussieren und Produkte wie jenes von Pregnolia suchen. Die Chancen, das Start-up gewinnbringend zu verkaufen, stehen gut. Doch so weit ist es noch nicht. Sabrina Badir und ihr Team werden in den nächsten zwei Jahren weiter daran arbeiten, das Pregnoliasystem als Standard in der Frühgeburtsdiagnostik zu etablieren. «Alles, was es heute dazu gibt, ist unbefriedigend», sagt die Unternehmerin. «In Zukunft wird in jeder Arztpraxis neben dem Ultraschallgerät auch ein Pregnoliasystem stehen. Das ist meine Vision.» Und wie sieht sie ihre eigene Zukunft? Sie hält kurz inne und antwortet: «Wenn ich sicher bin, dass unser Produkt in die richtigen Hände kommt und weiterverbreitet wird, werde ich mich etwas Neuem widmen.»
Das Pregnoliasystem
Das Pregnoliasystem besteht aus einer Sonde und einer Kontrolleinheit mit Display. Die Sonde wird auf die vordere Muttermundlippe aufgesetzt. Mit der Bedienung des Startknopfs auf der Kontrolleinheit beginnt das Gerät, die Steifigkeit des Gewebes zu bestimmen. Innerhalb weniger Sekunden erscheint der Messwert auf dem Display. Der Abgleich mit der Tabelle der Normalwerte zeigt der Gynäkologin, ob das Risiko einer Frühgeburt besteht.
Pregnolia AG
Pregnolia AG ist ein Spin-off der ETH Zürich, das ein Diagnosegerät zur Einschätzung des Risikos einer Frühgeburt entwickelt hat. Pregnolia ist aus der Dissertation der ETH-Biomechanikerin Dr. Sabrina Badir hervorgegangen. Das Unternehmen beschäftigt zurzeit 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Interview with Sabrina Badir
Sabrina Badir
Sabrina Badir hat an der ETH Zürich in Biomechanik doktoriert. Im Zuge eines interdisziplinären Forschungsprojekts der ETH Zürich und des Zürcher Universitätsspitals untersuchte sie, wie sich Veränderungen des Gebärmutterhalses (Zervix) früher und genauer bestimmen lassen. Die Beschaffenheit der Zervix gilt als wichtiger Indikator zur Bestimmung des Frühgeburtsrisikos. 2016 gründete sie mit dem Bioingenieur Dr. Francisco Delgado das Spin-off Pregnolia AG, dessen CEO sie ist.
Sabrina Badir lebt mit ihrem Partner in Zürich und ist Mutter von zwei Kindern.
Horizon 2020 Projekt
PREGNOLIA: New diagnostics to determine premature birth risk
- Projektart: SME Instrument
- Laufzeit: 1. September 2019 – 30.Juni 2022 (34 Monate)
- Beitrag für das KMU: 1‘283‘914 €